Christina Wessely: Welteis – Eine wahre Geschichte

© Matthes & Seitz

Die Welteistheorie ist eine pseudowissenschaftliche Theorie über die Entstehung des Weltalls und unsere Erdgeschichte. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war sie im deutschsprachigen Raum sehr populär, fand aber nie die Anerkennung durch die etablierte Wissenschaft. Die Autorin Christina Wessely ist Expertin für Wissenschaftsgeschichte und hat sich auch in anderen Texten mit dem Thema Pseudowissenschaft auseinandergesetzt. In diesem Buch zeichnet sie die Geschichte der Welteistheorie bis zu ihrer eindeutigen Widerlegung durch die Mondlandung 1969 nach.

Im Jahre 1894 hatte der Wiener Ingenieur und Kältetechniker Hanns Hörbiger beim Blick durchs Teleskop eine Eingebung. Er erkannte, dass der Mond aus Eis bestehen muss. Weitere Überlegungen in den folgenden Wochen brachten Hörbiger zu der Einsicht, dass auch alle anderen Himmelskörper, mit Ausnahme der Sonnen, aus Eis bestehen. Selbst unsere “Eismilchstraße” – deren Details man ja mit den damaligen Teleskopen noch nicht genauer auflösen konnte – ist demnach ein “Eiskörpergewölk”. Im All wimmelt es von “Sonnenkeimlingen”, die von “Glutlingen” oder “Eislingen” getroffen werden  – ein ewiger Kreislauf, dem auch die Erde unterworfen ist. Da sich die Himmelskörper nicht etwa auf elliptischen, sondern auf spiralförmigen Bahnen bewegen, stürzen immer wieder neu entstehende Monde und andere Objekte auf die Erde und regeln so auch noch die Zufuhr mit Wasser. Unser “Jetztmond” ist bereits der 6. und wird in diesem Kreislaufsystem auch nicht der letzte sein, der das Leben auf der Erde zerstören und einen Neuanfang ermöglichen wird.

Bei all diesem fantastischen, geradezu poetischen Vokabular ist es erstaunlich, dass Hörbiger Anhänger für seine Theorie fand, zumal es keine Beweise dafür gab und er sich auch weigerte, seine Behauptungen mit wissenschaftlichen Methoden abzusichern. Immer wieder suchte er den Kontakt zu den Universitäten und Forschungseinrichtungen. Dort traf er jedoch nur auf Ablehnung, da seine Theorie unwissenschaftlich  und nicht belegbar war. Daran konnte auch sein 800-seitiges Werk Glacial-Kosmogonie, welches er zusammen mit Philipp Fauth verfasst hatte, nichts ändern. Akzeptanz fand Hörbiger lediglich bei seinen technisch orientierten Kollegen, bei Ingenieuren und Lehrern, die ihm bei der Verbreitung der Welteislehre halfen, indem sie Vorträge hielten, Zeitungsartikel, Sachbücher und Romane darüber schrieben, Zeitungen und Vereine in Österreich und Deutschland gründeten – so wurde die breite Öffentlichkeit für die Theorie begeistert und sie wurde sogar zum kommerziellen Erfolg!

Es ist hochinteressant, wie die Autorin die starke Wirkung dieser Irrlehre auf das Publikum in das historische Umfeld einbettet, denn nur so lässt sich deren Faszination begreifen. Die Welteislehre wirkte auf die Öffentlichkeit auch deshalb so anziehend, weil sie, anders als die ernsthafte Wissenschaft, auf Intuition und Fantasie setzte statt auf mathematische Exaktheit. Hier kam auch ein starker Antagonismus zwischen den praktisch orientierten Technikern und Ingenieuren einerseits und andererseits den theoretischen Modellen und Experimenten verhafteten Naturwissenschaftlern zum Ausdruck.

In diesem Kontext thematisiert Christina Wessely das Problem der Abgrenzung zwischen seriöser und Pseudowissenschaft. Dabei geht sie auf Karl Poppers Forderung nach Falsifizierbarkeit als Kriterium für echte Wissenschaft ein. Dieses Prinzip wird von einigen Wissenschaftstheoretikern allerdings abgelehnt. Die Skeptikerbewegung um Martin Gardner hat in den 6oer Jahren auf die ökonomischen Schäden durch Pseudowissenschaftler aufmerksam gemacht. Hier kommt dann auch die Rolle der Öffentlichkeit ins Spiel, den Menschen, die einerseits einer seriösen Theorie zur Durchsetzung verhelfen können, sich andererseits aber von falschen Lehren manipulieren lassen.

Christina Wesselys Buch ist eine anspruchsvolle, ausgezeichnet lesbare Auseinandersetzung mit diesen Fragen: Wodurch zeichnet sich echte Wissenschaft aus? Wie kann man Pseudowissenschaft erkennen? – Die Abgrenzung fällt schwerer als uns lieb ist.

Christina Wessely: Welteis
Verlag Matthes & Seitz 2013
ISBN 978-3-88221-989-0

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