Elisabeth Oberzaucher: Homo urbanus

Cover Oberzaucher Homo Urbanus

© Springer

Die Hälfte aller Menschen lebt heute in Städten. Ist der Homo sapiens überhaupt für diese Orte voller Menschenmassen, Enge und Lärm geschaffen? Sind die Städte an unsere Bedürfnisse angepasst? Was müssen wir für die Zukunft bedenken, wenn die Zahl der Stadtbewohner weiter steigt?

Immer mehr Menschen zieht es in die Städte. Die Stadt bietet viele Perspektiven – Arbeit, Wohlstand und kulturelle Angebote. Sie verursacht aber auch Probleme wie Anonymität, Luftverschmutzung, Kriminalität und Lärm. In ihrem Buch Homo urbanus untersucht die Wiener Verhaltensbiologin Elisabeth Oberzaucher, welche evolutionären Voraussetzungen der Mensch für das urbane Leben mitbringt und welche Konsequenzen sich aus diesem Erbe ergeben. 2015 erhielt sie zusammen mit Karl Grammer den Ig-Nobelpreis für Mathematik, eine satirische Auszeichnung für eine wissenschaftliche Leistung. Seit 2016 ist Elisabeth Oberzaucher Mitglied der Wissenschafts-Comedians Science Busters. In ihrem Buch Homo urbanus verzichtet sie allerdings auf Humor und unterhaltende Elemente. Sie argumentiert rein sachlich, zieht verschiedene Studien und Theorien heran und verwendet viele Fachbegriffe, die im Buch erläutert werden. Für mich hat sich die Lektüre gelohnt!

Savannenbewohner
Unsere Vorfahren streiften durch die Savannen Ostafrikas – offene Graslandschaften, die gut zu überblicken waren und Schutz vor Feinden boten. An diesen Lebensraum sind wir bestens angepasst. Im Buch erfahren wir, wie tief die Savanne uns geprägt hat. Das äußert sich zum Beispiel in unserer Vorliebe für bestimmte Landschaftstypen, in unserer Bevorzugung der Randbereiche offener Plätze bis hin zur Sitzplatzwahl in der U-Bahn. Wir brauchen räumliche Einheiten, die einen guten Überblick bieten.

Biophilie
Besonders wichtig für das Wohlbefinden sind lebendige Elemente wie Pflanzen und Wasser. Grünpflanzen waren in der Geschichte der Menschen wichtig, denn sie dienten als Nahrung; Bäume, Gräser und Sträucher boten Verstecke. Studien haben ergeben, dass der Ausblick auf Grünpflanzen Patienten in Krankenhäusern bei der Genesung hilft, dass Pflanzen am Arbeitsplatz oder in Prüfungssituationen die Konzentration verbessern und dazu beitragen, Stress zu reduzieren. Solche Naturbereiche dürfen daher in Städten nicht fehlen.

Soziale Komplexität
Unsere Vorfahren lernten in größeren Gemeinschaften zu leben und kooperierten in vielen Lebensbereichen miteinander. Das Leben in der Gruppe wurde immer komplexer, bot aber bessere Überlebenschancen. Soziale Bindungen wurden vertieft und man lernte, Konflikte zu vermeiden. Doch wird die Gruppe zu groß, ist das für uns kaum zu ertragen. In der modernen Großstadt begegnen wir Tausenden Individuen. Mit den vielen Eindrücken, die auf uns niederprasseln, kommen wir nur zurecht, wenn wir vieles einfach ausblenden, unseren Tunnelblick einsetzen und zum Beispiel Blickkontakt vermeiden – so wird die soziale Komplexität reduziert.

Territorialität
Wir haben im Laufe unserer Evolution gelernt, unser Verhalten an das jeweilige Territorium anzupassen, in dem wir uns gerade aufhalten, und die dort geltenden Regeln zu respektieren. Wir ertragen zeitweise auch mehr körperliche Nähe als die für uns angenehme Individualdistanz. Aber wir benötigen auch Rückzugsorte und private Bereiche. Grenzen zwischen privaten und öffentlichen Räumen sind uns wichtig. Sie können aber aufgeweicht werden, zum Beispiel durch eine funktionierende Nachbarschaft, die den öffentlichen Raum mitbenutzt oder durch Bereiche, die der Öffentlichkeit zur freien Verfügung gestellt werden. Beim Urban Gardening wird durch die Nutzung zugleich Verantwortung übernommen.

Vom Homo sapiens zum Homo urbanus – ein lesenswertes Sachbuch
Unser evolutionäres Erbe als Bewohner der Savanne ist auch heute noch wirksam, wie Elisabeth Oberzaucher mit vielen Beispielen belegt. Sie zeigt in ihrem lesenswerten Sachbuch, wie unsere Städte menschengerecht gestaltet werden können. Das zahlt sich nicht nur durch größere Zufriedenheit der Stadtbewohner aus, sondern hat auch positive ökonomische Effekte und mindert Kriminalität und Vandalismus. Ihre Lösungsvorschläge sind leicht umzusetzen. Homo urbanus eignet sich für interessierte Laien, Architekten und Stadtplaner. Ein origineller Ansatz mit spannenden Einblicken in die Wurzeln unseres Verhaltens!

Elisabeth Oberzaucher: Homo urbanus – Ein evolutionsbiologischer Blick in die Zukunft unserer Städte
Springer Verlag 2017, 261 Seiten mit vielen Farbfotos
ISBN 978-3-662-53837-1
Leseprobe 1
Leseprobe 2

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6 Kommentare

  1. “wie unsere Städte menschengerecht gestaltet werden können.”, dazu gibt es neuerdings einen “Psycho”-Begriff : Psychogeografie. :-)
    Zu lesen in der Sachbuchbeschreibung von Martin Hubert auf DLF:

    http://www.deutschlandfunk.de/sachbuch-wo-gestresste-bueroangestellte-ruhe-finden.676.de.html?dram:article_id=386208

    Liebe Grüsse
    Gerhard

    • Danke für den Link. Die Rezension habe ich auch gelesen. Ich denke, dass sich die beiden Bücher recht gut ergänzen, da sie unterschiedliche Schwerpunkte setzen.

      • Wusste nicht, daß Du das auch gelesen hast.
        Ich nutze bei DLF auch die Montagsübersicht “Andruck”.
        Ich nutze jetzt manchmal Leseproben.
        Es ist garnicht so einfach, denke ich, guten Lesestoff (ausserhalb des Netzes) zu bekommen.
        Wenn man wie ich 2 -3 Wochen für ein Buch braucht, scheut man einen schnellen Erwerb von Büchern.

        • Beim DLF habe ich diverse Podcasts abonniert. Da interessieren mich vor allem die Buchtipps von DLF Kultur. Ich habe dort schon viele tolle Buchtipps erhalten. Außerdem die Wissenschafts-Themen, das lohnt sich auch.
          Was die Leseproben angeht, so finde ich sie ebenso hilfreich wie du. In meinen Beiträgen findest du sie übrigens meist ganz unten auf der Seite :-)

  2. Klasse Empfehlung, wandert sofort auf die Wunschliste und dann auch noch ein Neuzugang bei den Science Busters, ich bin wieder einmal deutlich unterinformiert – werde ich gleich mal ändern ;)
    Sende ganz liebe Grüße …

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