Yuval Noah Harari: Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen

Cover Harari Homo Deus

© C.H. Beck

Mit Homo Deus knüpft der israelische Historiker Yuval Noah Harari an seinen spannenden Bestseller Eine kurze Geschichte der Menschheit an. Darin beschrieb er, wie es der Menschheit in 70.000 Jahren gelang, das Ökosystem der Erde radikal zu verändern und viele Lebewesen auszurotten oder zu unterwerfen. Die wichtigsten Probleme sind heute dank Wissenschaft und Technik beherrschbar: Hunger gibt es nur noch dort, wo er politisch gewollt ist. Die schlimmsten Seuchen und Kinderkrankheiten wurden erfolgreich bekämpft. Selbst Kriege sind keine allgegenwärtige Bedrohung mehr. Nachdem der Kampf ums Überleben gewonnen wurde, ist es Zeit, sich neue Ziele zu setzen. Das nächste Projekt der Menschheit ist laut Harari die Selbstoptimierung und das Streben nach Glück und Unsterblichkeit. Herauskommen wird Homo Deus, der gottgleiche Mensch, der “göttliche Schöpfungs- und Zerstörungsmacht” besitzt. Diese optimierte Version wird den Homo sapiens verdrängen, befürchtet Harari.

Humanistische Werte wie die individuelle Freiheit und das Recht auf Selbstbestimmung haben den Glauben an Gott in den letzten Jahrhunderten abgelöst und stellen stattdessen den Menschen, seine Emotionen und sinnstiftende Mythen in den Mittelpunkt. Doch diese Werte sind durch den wissenschaftlichen Fortschritt und neue Technologien in Gefahr!

Wir begreifen uns als einzigartige, überlegene Art, die anderen Lebewesen ihre Intelligenz, Flexibilität und die Fähigkeit zur Kooperation voraushat. Doch schon seit Charles Darwins Evolutionstheorie und der Weiterentwicklung der Naturwissenschaften ist dieser Hochmut nicht mehr gerechtfertigt. Inzwischen ist erwiesen, dass Tiere ähnlich wie der Mensch über Gefühle, Intelligenz und ein Bewusstsein verfügen. Und es kommt noch schlimmer! Neue Erkenntnisse der Biowissenschaften reduzieren den Menschen auf einen Algorithmus, dessen Gefühle durch das Feuern von Neuronen im Gehirn entstehen und nicht durch unsere Einzigartigkeit. (Der Begriff Algorithmus wird zum einen auf eine Folge von Rechenoperationen oder Arbeitsschritten bezogen, zum anderen auf die biologischen oder künstlichen Einheiten, die sie nutzen.)

Als Wissenschaftler im Verlauf des letzten Jahrhunderts die Blackbox des Sapiens öffneten, fanden sie dort weder eine Seele noch einen freien Willen, noch ein “Ich” – sondern nur Gene, Hormone und Nervenzellen, die den gleichen physikalischen und chemischen Gesetzen gehorchen wie der Rest der Wirklichkeit.

Was wir für Emotionen und unseren freien Willen halten, wird also durch biochemische Prozesse im Gehirn gesteuert – und ist damit auch manipulierbar! Doch für die Biowissenschaften ist das kein Grund schwarzzusehen. Dank Gentechnik, Nanotechnologie oder Cyborg-Technik können wir unseren Körper und Geist optimieren und Defizite beheben.

Harari wirft einen provokanten Blick in die Zukunft. Bisherige Religionen, und damit ist nicht nur der Glaube an Götter gemeint, sondern auch der Glaube an gemeinsame Werte, Nationen oder den Kapitalismus, werden abgelöst durch den Glauben an Daten. Dataismus wird zur neuen Religion. Begonnen hat diese Entwicklung bereits mit der Erfindung von Schrift und Geld durch die Sumerer vor 5.000 Jahren. Doch erst heutige Technologien machen daraus ein “Universum aus Datenströmen”, dessen Algorithmen wir uns durch unseren Konsum und unsere Art zu kommunizieren bereitwillig ausliefern! Künstliche Intelligenzen könnten schon bald die menschliche Intelligenz übersteigen. Sie werden uns besser kennen als wir selbst. Und sie können besser für uns entscheiden, ohne störende Gefühle: wen wir wählen sollen, welcher Partner und Job zu uns passt oder wie wir unseren Körper und Geist optimieren. Vieles ist ja heute schon Realität: medizinische Chips und Implantate im Körper, freiwillige Kontrolle durch Fitness-Apps, Entscheidungshilfen durch Gen-Tests, Algorithmen, die für uns die Datenflut filtern und als Ratgeber fungieren.

Doch wenn wir immer mehr Kontrolle abgeben, sind der freie Wille und unser Recht auf Selbstbestimmung in Gefahr. In dieser Datenwelt sind Privatsphäre und individuelle Wünsche nicht so wichtig – wertvoller ist die Freiheit der Information! Schon heute ist das Internet

eine freie und rechtlose Zone …, die staatliche Souveränität untergräbt, Grenzen ignoriert, die Privatsphäre abschafft und vermutlich das größte globale Sicherheitsrisiko darstellt.

Dem haben staatliche Institutionen bisher nur wenig entgegenzusetzen. Vielleicht werden sie sogar überflüssig. Wer braucht in Zukunft noch Politiker?
Und wer braucht noch Anwälte, Ärzte, Verkäufer, Banker, Talentscouts, wenn Maschinen diese Aufgaben besser bewältigen können? Wie werden all die Nutzlosen und Wertlosen ihre Zeit verbringen? Und wie werden sie behandelt, wenn nur noch eine kleine hochspezialisierte Elite Entscheidungen trifft? So wie wir schon heute mit den Tieren umgehen? Können und wollen wir diese Entwicklung noch stoppen?

Hararis Szenarien vom Homo Deus klingen dank der scharfsinnigen Argumentation beängstigend und überzeugend, da wir heute schon unser Heil in der digitalen Welt und im rasanten Fortschritt suchen. Ein zynischer, aufregender Blick auf die Menschheit der Zukunft, aber auch eine Aufforderung, sich aufrütteln zu lassen. 550 Seiten Lektüre vergingen wie im Flug!

Wissensbuch des Jahres 2017 in der Kategorie Überraschung

Yuval Noah Harari: Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen
Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn
C. H. Beck Verlag 2017, 576 Seiten
ISBN 978-3-406-70401-7
Leseprobe

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19 Kommentare

  1. Irgendwie fürchte ich mich davor, Bücher zu lesen, die meine Ängste und Dystopien auch noch bestätigen.

    • Ich fand es auch sehr beunruhigend. Da sich technisch gerade so viel tut, möchte ich bei dem Thema nicht den Anschluss verlieren.

  2. Ein grandioses Buch, freue mich, dass es Dir auch gefallen hat :) Liebe Grüße von der Buchmesse …

    • Es war spannend, sich damit auseinander zu setzen, wie schon bei Hararis erstem Buch. Ich wünsch dir viel Spaß auf der Buchmesse :-)

  3. Es gibt Momente, in denen ich mir wünsche, die von Ray Kurzweil beschworene Singularität wäre schon gekommen, und die Maschinen würden endlich dem Menschen die Zügel aus der Hand nehmen — der vergangene 8. November war so ein Tag. Aber meistens finde ich solche Zukunftsvisionen unerträglich gruselig, und die von Harari noch gruseliger als die von Kurzweil, weil sie viel realistischer daherkommt. Aber es muss ja nicht so kommen. Wenn wir der Erde weiter einheizen, kommt der Klimakollaps dem Homo deus zuvor.

    • Wenn einst die Maschinen das Sagen haben, nach welchen Kriterien werden sie dann entscheiden? Zum Wohle der Menschheit? Zum Wohle des Planeten? Eine spannende Frage. Ich weiß nicht, ob wir darauf hoffen sollten.
      Wo du die Trump-Wahl ansprichst: ich hoffe, dass dadurch genug Menschen aufgerüttelt werden, um sich aktiv gegen seine Politik einzusetzen.
      Beim Klimakollaps können wir wohl nicht auf die Politiker hoffen, die oft nur ihren Gruppen-Egoismus und kurzfristigen ökonomischen Erfolg im Sinn haben. Es sieht eher so aus, dass wir sehenden Auges in die Katastrophe steuern. Darauf geht Harari natürlich auch ein. Optimismus fällt schon schwer!

  4. Vielen Dank für die Besprechung! Dann muss das bald den Weg in mein Regal finden. Ich finde, dass Yuval alles sehr verständlich und mit nahe liegenden Beispielen anführt und daher auch für Laien gut geeignet ist.

    Liebe Grüße
    Henrik

  5. wenn ich so sätze wie “…fanden sie dort weder eine Seele noch einen freien Willen, …” lese, bin ich schon sehr skeptisch. denn es gibt sehr wohl wissenschaftler, die trotz der dieser behauptung zugrunde liegenden experimente die daraus folgernde (oben wiedergegebene) schlussfolgerung nicht teilen und beispielsweise argumentieren, hier würde in der interpretation einfach bewusstes, unbewusstes handeln und willensfreiheit durcheinander gewürfelt. ein netter überblick über diese frage ist z.b. hier zu finden: http://www.spektrum.de/news/wie-frei-ist-der-mensch/1361221.
    nichtsdestotrotz scheint dieses buch als denkanregung und als motivation, über die zukunft nachzudenken, lesenswert zu sein.
    liebe grüße
    fs

    • Deine Skepsis ist berechtigt, lieber Gerd! Man kann eben aus den Beobachtungen der Hirnforschung nicht einfach schließen, dass es keinen freien Willen gibt. Da mich dieser Aspekt sehr beschäftigt, lese ich gerade das neue Buch des Hirnforschers David Eagleman „The Brain“. Auch der Artikel, den du erwähnst, passt hier perfekt, vielen Dank! Viele Aspekte sind ja noch offen oder können anders interpretiert werden.
      Auch Yuval Harari schwankt in seiner Bewertung. Einerseits macht er sich die Erkenntnisse der Hirnforschung zu eigen, um zu polemisieren, andererseits kritisiert er sie als reduktionistisch. Er benutzt aber nun mal gern zugespitzte Formulierungen, um uns Leser zu provozieren – und das gelingt ihm!

  6. Ich bin erstaunt, daß Du dieses Buch gelesen hast.
    Ich hatte es auch im Visier, habe mich aber durch einige negative Kommentare davon abhalten lassen. Es wurde gemeinhin gesagt, daß der Autor zu spekulativ sei – und er auch die Vergangenheit auf eine solche Weise angegangen hat.
    Ich lege viel Wert auf Informationen, die stichhaltig sind. Spekulative Analysen sind mir eigentlich ein Greuel.
    Offenbar aber kamst Du gut damit zurecht?!

    • Mich hat schon Hararis “Kurze Geschichte der Menschheit” fasziniert, wo er die Globalgeschichte der letzten 70.000 Jahre beschreibt. Das ist alles sehr gut belegt und nachvollziehbar.
      In seinem neuen Buch greift er darauf zurück und führt einige Aspekte genauer aus, zum Beispiel wie sich die Wissenschaft in den letzten Jahrhunderten entwickelt hat, wie Religionen an Bedeutung verloren oder wie das ökonomische Streben nach Wachstum zu einer immer größeren Gefahr für die Umwelt wird. Er argumentiert sehr klar und verständlich.
      Natürlich weiß auch Harari nicht, wie sich die Zukunft entwickeln wird, aber vieles klingt gar nicht so abwegig. Vor allem will der Autor ein “Spektrum von Möglichkeiten” aufzeigen, uns zum Nachdenken über die Zukunft anregen. Das gelingt ihm bestens, wie die vielen Reaktionen und auch der Widerspruch gegen dieses Buch zeigen. Es lohnt sich darauf einzulassen!

      • Wieviel Zeit aufs Lesen verwendest Du denn? Das würde mich interessieren.

        Ich habe gerade ein Buch gelesen “Was uns nicht umbringt”, da geht es um Traumatherapie und posttraumatisches Wachsen, dazu brauchte ich eine Weile.
        Ich schaffe im Durchschnitt etwa 5 Seiten am Tag. D.h. am Wochenende schon mal 50 Seiten.
        Als nächstes ist das Buch von Florian Freistetter über Newton dran.

        • Ich lese hauptsächlich abends vor dem Schlafengehen, etwa ein bis zwei Stunden, am Wochenende deutlich mehr. Wie viele Seiten ich schaffe, hängt sehr vom Text und von der Müdigkeit ab. Gerade Sachbücher kosten viel Konzentration, da lese ich einiges auch mal doppelt. Da kann ich gar keine genaue Seitenzahl nennen :-)
          Bin sehr gespannt auf deine Eindrücke zum Newton-Buch von Florian Freistetter!

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