Zora del Buono: Das Leben der Mächtigen

Cover Buono Leben der Maechtigen

© Matthes & Seitz

Für Zora del Buono haben Bäume eine Persönlichkeit. Bäume verleiten zum Staunen und großer Ehrfurcht. Sie sind Zeugen der Veränderungen um sie herum und können uns Menschen um Jahrhunderte überdauern. Die Schweizer Architektin und Autorin hat eine Reise zu einigen besonders alten Exemplaren in Europa und Nordamerika unternommen. In ihrem Buch Das Leben der Mächtigen erzählt sie deren faszinierende Geschichten.
Manche von ihnen leben im Verborgenen, weit ab von der Zivilisation, ihr Standort wird zum Schutz geheim gehalten. Andere sind mitten im Zentrum eines Dorfes zu finden, dessen Geschichte eng mit ihnen verwoben ist. Imposante Erscheinungen, aber auch etwas zerzauste Exemplare sind dabei. Und manche tragen sogar Namen!

Vom Senator, einer 3.600 Jahre alten Sumpfzypresse in Florida, existiert nur noch ein verkohlter Stumpf. Für das Volk der Seminolen hatte dieser Baum eine spirituelle Bedeutung, verhieß lebenslangen Schutz und verband die Menschen mit dem Göttlichen. Die Beschädigung durch einen Hurrikan hat er überlebt. Doch 2012 wurde er von einer jungen Frau im Drogenrausch leichtsinnig verbrannt. Feuerwehrleute kämpften verzweifelt um die Rettung des alten Baumes, mussten aber nach sechs Stunden aufgeben. Neben den Überresten erhebt sich eine weitere Sumpfzypresse, Lady Liberty, die den Senator vielleicht über ihr miteinander verbundenes Wurzelwerk am Leben hält, so dass er irgendwann wieder austreiben kann.

Pando, eine Amerikanische Zitterpappel in Utah, besteht aus tausenden von Einzelbäumen. Da sich die Pappeln hier wegen des trockenen Klimas nicht über ihre Samen verbreiten können, funktioniert die Vermehrung durch Klonen. Aus den Wurzeln schießen seit Jahrtausenden neue Sprösslinge empor, so dass alle Pappeln den gleichen genetischen Ursprung haben und einen einzigen Organismus bilden. Regelmäßige Feuer sind lebenswichtig, denn dadurch wird die Konkurrenz vernichtet. Die Pappel übersteht die Brände dank ihres weitverzweigten Wurzelwerks. Mit einem Alter von mindestens 80.000 Jahren gilt dieses Baumsystem als das älteste Lebewesen der Erde!

Viele Bäume müssen ganz schön was aushalten. Wie die 1.200 Jahre alte Stiel-Eiche in der Normandie, genannt Le Gros Chêne. Sie wurde nicht nur mit Schindeln verkleidet, sondern enthält in ihrem Erdgeschoss auch noch eine Kapelle und im ersten Stock eine Eremitenkammer. Dieser Einfall geht auf zwei Kirchenmänner im Jahr 1696 zurück, “womöglich war auch Rotwein im Spiel“, spekuliert die Autorin.

Die wechselvolle Geschichte der Angel Oak, einer alten Eiche in South Carolina, die der indigenen Bevölkerung als Kultstätte diente und später während der Sklaverei zum Symbol der Unterdrückung wurde:

Bei Sonnenschein ist die Angel Oak vor allem eines: verspielt barock. Wenn sich aber eine Wolke vor die Sonne schiebt und alles schlagartig düster wird, wenn der Baum wirkt, als stünde er tief im Urwald, seine Äste sich wie fette Höllenschlangen winden, verströmt er nicht mehr die Aura des Beschützenden wie einst für die Indianer, sondern die des Bedrohlichen, wie damals für die Sklaven, die an den Ästen aufgeknüpft ihr Leben ließen.

In Sant`Alfio, Sizilien, steht eine mächtige Edelkastanie. Sie ist zwischen 2.000 und 4.000 Jahren alt: Il Castagno dei Cento Cavalli. In einer stürmischen Nacht bot die Kastanie hundert Pferden mitsamt ihren Reitern Schutz in ihren drei teils hohlen Stämmen und unter dem ausladenden Astwerk. Die Geschichte dieser Nacht hat auch eine aberwitzige erotische Komponente, die das Interesse an dem Baum seit Jahrhunderten am Leben hält.
Das Kapitel endet mit einem Rezept und hat mich sogar zum Backen verleitet: Castagnaccio, ein Kuchen aus Kastanienmehl mit Pinienkernen und Fenchelsamen. Dank der etwas vagen Mengenangaben wurde das Ergebnis meiner Backkunst als ungenießbar eingestuft. Ich könne es doch an die Vögel verfüttern. Nun, den Elstern schien der Castagnaccio zu schmecken. Ein paar von den lebkuchenartigen Bröckchen habe ich trotzig selbst gegessen. Mein Lesevergnügen wurde dadurch aber nicht getrübt!
Die Edelkastanie mit ihren drei Einzelstämmen zog einen Naturforscher in ihren Bann. 1770 wurden die Einzelstämme freigeschaufelt. Nun konnte man sehen, dass sich die Einzelstämme in vier Metern Tiefe zu einem gewaltigen Stamm von fast 60 Metern Umfang vereinen. Damit wäre diese Kastanie der dickste Baum der Welt!

Doch Zora del Buono geht es nicht um Rekorde – dickster Stamm, größter Baum, ältester Baum. Wichtiger sind ihr die Verbindungen zwischen den Bäumen und den Menschen, die sie während ihrer langen Lebensdauer ein Stück begleiten.

Del Buonos vierzehn Reportagen sind sehr lebendig erzählt. Sie enthalten Impressionen von ihren Reisen und Anekdoten aus der langen Geschichte dieser Bäume. Auch botanisches Fachwissen hat sie eingestreut, über die Wissenschaft der Baumdatierung mittels Jahresringen und DNA-Analyse und die Vermehrungs- und Überlebensstrategien der Bäume. Ihr Spiel mit der Gegenwart und Vergangenheit der Bäume, die Begegnungen mit Menschen, die von den Bäumen geprägt wurden, ihre poetische Sprache – all das macht dieses Buch lesenswert.

Zora del Buono: Das Leben der Mächtigen – Reisen zu alten Bäumen
Verlag Matthes & Seitz 2015, 147 Seiten
Mit Fotografien der Autorin
Reihe Naturkunden
ISBN 978-3-95757-165-6

#buylocal #supportyourlocalbookstore

Beitrag empfehlen

10 Kommentare

  1. Bei dem Thema wird mir ganz anders.

    • Ich vergaß zu erwähnen, dass die Autorin meistens von ihrem Hund begleitet wurde. Aber er durfte nicht überall das Beinchen heben ;)

  2. Ein wunderschönes Buch, ich hab es schon mal durchgeblättert und etwas reingelesen.

    Aber es fehlt mir halt der persönliche Bezug zu diesen Bäumen. Ich war mal in den Redwoods – was soll ich sagen: Grandios.
    Natürlich.
    Aber ich seh’ diese Riesen leider nur einmal. Ich kann ihr jahrhundertelanges Leben nicht verfolgen. Nicht mal in der kurzen Zeitspanne meines Lebens.
    Darum bleibe wohl lieber bei meinen unspektakulären Bäumen in der Nachbarschaft. Die haben auch alle eine Geschichte. Man müßte sie nur erzählen.

    Und dass ist das tolle an diesem Buch, es weckt Verständnis für die hölzernen Begleiter unseres Lebens. Man muss nur hingucken und ihnen zuhören.

    Beste Grüße
    Erich

    • Ich habe beim Lesen einen Hauch von der ungeheuren Lebensdauer der Bäume wahrgenommen. Darin liegt die Stärke dieser Geschichten. Aber wie du schon sagst: auch die Bäume in unserer Umgebung haben eine Geschichte, die muss nicht immer so spektakulär sein.
      Auf jeden Fall ist des wieder so ein Buch, das einen mit offenen Augen zurücklässt.

  3. Bei dieser Buchbesprechung bekomme ich Herzklopfen. Ich bin so vernarrt in Bäume, ich muss immer welche in meiner Nähe haben, sonst fühle ich mich unwohl.

    Zu der Verbindung von Baum und Mensch: Ich hatte mal einen Arbeitsplatz, von dem aus kein Baum zu sehen war. Aber im Innenhof, eine Art Lichtschacht, wuchs ein verkrüppelter, sehr kleiner Baum, den ich häufig ansah. Irgendwann wurde er gefällt. Ich wusste in dem Moment, daß ich an dem Ort nicht mehr lange bleiben würde, wenn auch aus anderen Gründen. Und so war es dann auch.

    Herzliche Grüße
    Madame Filigran

    • Eine schöne Geschichte, die zeigt, wie wichtig Bäume für uns sind und was für Emotionen sie wecken können!

  4. Was für eine tolle Buchvorstellung! So alte Bäume, solche besonderen Exemplare, darüber möchte ich auch lesen und staunen. Und dann noch ein Hund, der die Autorin begleitet!
    Erklärt sie auch, warum wir so angetan sind von Bäumen? Hier in den Kommentaren zeigt sich das ja auch, diese ganz besondere Begeisterung.
    Auf einem unserer Schulhöfe steht auch eine alte Buche (nicht so alt wie die Bäume, die Du vorgestellt hast, aber eben schon einige Jahrzehnte alt). Ein ganz mächtiger Stamm, eine ganz dichte Krone. Ich habe auf dem Schulhof immer wieder Aufsicht gehabt zu der Zeit, als meine Schwiergermutter gestorben ist. Und so ist der Baum ihr Gedenkbaum geworden. Bäume haben irgendwie magische Kräfte.
    Viele Grüße, Claudia

    • Das Thema hat wirklich viele emotionale Komponenten, die auch im Buch deutlich werden: Schutz vor Gefahren, Unwetter, Hitze, historische und kultische Ereignisse, die dort stattfanden, die Ehrfurcht vor dem Alter und der Größe eines Baumes. Man kommt sich ganz klein vor und fühlt sich beschützt. Zora del Buono schildert auch ihre eigenen Emotionen, ohne dabei gefühlsduselig zu werden. Ich kann mir kaum vorstellen, dass man Bäume nicht mag, aber es gab auch Geschichten von furchtbaren Ereignissen unter Bäumen.
      Für mich sind sie faszinierend, beruhigend, kraftspendend. Es ist schön, dass hier in den Kommentaren auch die ganz persönlichen Geschichten zu finden sind!

  5. Pingback:Blogbummel Februar 2016 – 1. Teil – buchpost

  6. Pingback:Vorfreuden für Leseratten II Herbst 2015 – Elementares Lesen

Kommentare sind geschlossen