Charles C. Mann: Kolumbus’ Erbe

Cover Mann, Kolumbus Erbe

© Rowohlt

Die Suche nach einer Handelsroute nach Indien führte den Seefahrer Christoph Kolumbus 1492 an die Küsten einiger karibischer Inseln. Nicht Indien, sondern Amerika war damit gefunden. Schon bald wurde auf Hispanola ein erster Stützpunkt gegründet. Kolumbus’ Ankunft war der Beginn eines globalen Austauschs von Menschen, Tieren, Pflanzen, Handelsgütern und Krankheiten und wälzte überall auf der Welt die ökologischen und ökonomischen Verhältnisse um.

Der Historiker Alfred W. Crosby bezeichnete diesen Prozess 1972 als “Columbian Exchange“. Mit diesem Begriff arbeitet auch der amerikanische Wissenschaftsautor Charles C. Mann. In seinem brillant erzählten Werk Kolumbus’ Erbe zeichnet er die Entwicklung von der Ankunft in Amerika bis zur globalisierten Gegenwart in all ihren Facetten nach.

Die vielfältigen Entwicklungen, die mit dem Columbian Exchange verbunden sind, mündeten laut Charles Mann in ein neues biologisches Zeitalter: das Homogenozän, die Vermischung und Vereinheitlichung der Ökosysteme auf sämtlichen Kontinenten. Einige Aspekte aus diesem packenden Mammutwerk möchte ich kurz vorstellen.

Krankheitserreger: Der rasche Erfolg der Europäer bei der Eroberung des amerikanischen Kontinents ist nicht ihrer Überlegenheit zu verdanken, sondern der Einschleppung zahlreicher bisher unbekannter Krankheiten. Schon kurz nach der Ankunft der Seefahrer in der Karibik starben viele Taino, die dortigen Ureinwohner, an Grippe, Pocken und anderen Krankheiten. In den folgenden Jahrhunderten kam es immer wieder zum Ausbruch katastrophaler Epidemien, der sowohl viele Ureinwohner als auch Kolonisten aus Europa zum Opfer fielen. Am schlimmsten waren die Ausbrüche der Malaria, welche ihren Ursprung in Afrika und Europa hatte, und des Gelbfiebers, das mit den Sklavenschiffen aus Afrika seinen Weg nach Amerika fand.

Tabak: Mit diesem Suchtmittel der Neuzeit ließen sich große Gewinne erwirtschaften. Die Bemühungen der Engländer, sich in Amerika anzusiedeln, um dort Tabak anzubauen, gingen einher mit der Aneignung von vermeintlich unerschlossenem Land, das aber von Indianern genutzt wurde, der Zerstörung einheimischer Anbaumethoden und der Verbreitung von Krankheiten unter der indigenen Bevölkerung. Auch in China etablierte sich der Tabakgenuss. Als der Tabak die Weltmärkte eroberte und immer lukrativer wurde, verdrängte dessen Anbau die Nutzpflanzen und führte zu Hungersnöten unter der chinesischen Bevölkerung. Tabak hatte auch den Nachteil, dass er den Boden rasch auslaugte, so dass immer neue Gebiete erschlossen werden mussten.

Silber: Silber wurde in bolivianischen Minen unter unmenschlichen Bedingungen gefördert und diente der spanischen Krone, um ihre Kriege zu finanzieren und Staatsbankrotte abzuwenden. Auch in Asien entstand ein gewaltiger Bedarf. Lange Zeit war ein Handel mit China kaum möglich, da das Riesenreich keinen Bedarf an Produkten aus dem Rest der Welt hatte und den Seehandel verbot. Das änderte sich erst, als China nach ständigen Inflationen sein Währungssystem auf Münzen aus Silber umstellte und zum Import gezwungen war. Über die von Spaniern gegründete Stadt Manila auf den Philippinen kam ein reger Handel zustande, der Spanien im Austausch unter anderem Seide und Porzellan einbrachte. China benötigte nicht nur Silber, sondern auch zusätzliche Nahrungsmittel für seine Bevölkerung. Die Anbauflächen im eigenen Land reichten nicht aus, so dass zunächst Güter importiert und später auch amerikanische Nutzpflanzen wie Süßkartoffeln und Mais angebaut wurden. Die Suche nach neuen Anbaugebieten führte in vielen Fällen zu katastrophalen Entwicklungen, denn einheimische Pflanzen wurden beseitigt, um Plantagen und Felder anzulegen. Die importierten Pflanzen wiederum laugten die Böden aus. Abgeholzte Wälder sorgten für Erosion.

Kartoffeln: Eines der wichtigsten Handelsgüter für die Europäer war die Kartoffel, die ab dem 17. Jahrhundert aus Südamerika importiert wurde, um die Hungersnöte während der Kleinen Eiszeit zu lindern. Ihr Anbau war wesentlich effizienter als der Anbau von Getreide. Charles C. Mann erzählt die faszinierende Geschichte, wie die Andenvölker lernten, giftige Wildkartoffeln genießbar zu machen: um die giftigen Inhaltsstoffe Solanin und Tomatin zu neutralisieren, werden die Kartoffeln zusammen mit einer Soße aus Tonerde gegessen. Diesen Trick haben sich die Menschen offenbar bei den Guanakos und Vikunjas abgeschaut. Mit der Kultivierung der Kartoffel wurde in den Anden vor etwa 2.000 Jahren begonnen und viele verschiedene Sorten gezüchtet. In Europa setzte man dagegen auf nur wenige Sorten. Diese Monokultur führte zu einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber Parasiten und Krankheiten, die besonders in Irland neue Hungerkatastrophen hervorriefen.

Kautschuk: Für die Industrialisierung im 18. Jahrhundert war besonders der Kautschuk als Ausgangsprodukt für Gummi und andere Anwendungen von Bedeutung. Daher wurde dieser ursprünglich aus Südamerika stammende Baum auch in Asien und Afrika in Plantagen kultiviert. Der Plantagenanbau war zwar effizienter als der natürliche Wuchs, bot aber auch ein leichteres Einfallstor für schädliche Sporen und zerstörte außerdem die Wälder, die dafür abgeholzt wurden. Mann diskutiert vor allem die ökonomischen und ökologischen Konsequenzen des Kautschukanbaus, weniger die industrielle Nutzung.

Der menschliche Aspekt des Columbian Exchange: Die Bewirtschaftung von Plantagen und die Herstellung von Handelsgütern erforderte viele Arbeitskräfte, die zunächst unter den Indios und den Kolonisten Amerikas als Lohnarbeiter rekrutiert wurden. Doch die vielen Malaria- und Gelbfieber-Epidemien dezimierten immer wieder die Zahl der Arbeitskräfte, so dass der unsägliche Sklavenhandel in Gang gesetzt wurde. Afrikanische Sklaven waren immun gegenüber vielen Krankheiten, da sie sie oft schon als Kinder überstanden hatten. Doch viele Sklaven fügten sich nicht in ihre Opferrolle. Ihnen gelang die Flucht und ein Leben in Freiheit. Charles Mann berichtet von den Maroons, entflohenen Sklaven, die mit Indios zusammen im brasilianischen Regenwald viele kleine Siedlungen gründeten und dort autonom lebten. Manche dieser Siedlungen existieren bis heute und sind mittlerweile politisch legitimiert worden. – Viele Bevölkerungsgruppen fanden eine neue Heimat auf anderen Kontinenten und vermischten sich miteinander. Die Konquistadoren in Lateinamerika betrieben eine ausgeklügelte Heiratspolitik zwischen Spaniern und Eingeborenen, um ihre Macht zu festigen. Besonders Mexico-City war ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen. Diese Stadt verkörpert den menschlichen Aspekts des kolumbischen Austauschs besonders gut und wird von Mann als die erste globalisierte Stadt der Welt bezeichnet.

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Charles C. Mann führt uns deutlich vor Augen, dass der Mensch in seinem Streben nach Profit, Macht oder besseren Lebensbedingungen selten die Folgen seines Handelns bedenkt. Damit gehen eine Zerstörung der Natur und der Verlust von Traditionen und Kultur einher.

Für sein Werk Kolumbus’ Erbe hat Charles Mann viele Schauplätze seines Buches besucht, sich mit Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen ausgetauscht und eine Fülle von Fachliteratur ausgewertet. Mit einem Umfang von 600 Seiten (plus 200 Seiten Anhang) spannt er einen großen Bogen über die Weltgeschichte der letzten 500 Jahre. Dabei hat er nie die Auswirkungen auf den einzelnen aus dem Blick verloren. In einer Mischung aus Biologie, Wirtschaft und Geschichte  ist es dem Autor gelungen, komplexe Zusammenhänge elegant zu vermitteln – ein tolles Buch!

Nominiert als Wissensbuch des Jahres 2014 in der Kategorie Überblick

Charles C. Mann: Kolumbus’ Erbe – Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen
Aus dem Englischen von Hainer Kober
Rowohlt Verlag 2013, 816 Seiten
ISBN 978-3-498-04524-1
Leseprobe

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12 Kommentare

  1. Klingt interessant. Geht der Autor auch darauf ein, wie Mittel- und Südamerika mit eingeführten Pflanzen und Tieren (nicht nur mit Krankheitserregern, sondern zum Beispiel mit Kaffee, Bananen, Baumwolle und natürlich dem Zuckerrohr, aber auch mit Schafen, Ziegen, Schweinen und Kühen) völlig überformt und zum großen Treibhaus für die Alte Welt gemacht wurde? Als jemand, der in Mexiko lebt, frage ich mich oft, wie viele der Pflanzen, denen ich hier begegne, tatsächlich von hier stammen, und welche von den Spaniern aus anderen Tropenregionen eingeführt wurden. Dieser Aspekt wird in den meisten, natürlich eurozentrischen, Büchern bestenfalls am Rande erwähnt, und wenn dieses Buch eine Ausnahme wäre, würde es mich sehr interessieren.

    • Der Aspekt, den du ansprichst, ist genau das, was mit dem Homogenozän gemeint ist, die Überformung und Vermischung verschiedener Ökosysteme. Dieses Thema zieht sich durch das gesamte Buch. Charles Mann geht nicht so sehr auf das Thema Viehzucht ein, aber die Wege der Pflanzen, die in Mittel- und Südamerika eingeführt wurden, beschreibt er sehr ausführlich, vor allem am Beispiel Zuckerrohr und Kautschuk. Er geht auch auf die Folgen des Plantagenanbaus für die Umwelt ein.
      Wenn du in Mexiko lebst, könnten dich auch viele andere Teile dieses Buchs interessieren. Man erfährt sehr viel über die Lebensbedingungen der Indios im Konflikt mit den Spaniern, über das Leben in Mexico City im 16. Jahrhundert, aber auch wie der Weizen zufällig nach Mexiko kam; viele kleine und große Geschichten, die das Buch sehr abwechslungsreich und lebendig machen.
      Die Leseprobe vermittelt schon mal einen recht guten Eindruck.
      Viele Grüße nach Mexiko,
      Petra

      • Hallo Petra,
        die Leseprobe habe ich mir gestern gleich angeschaut, und dann habe ich mir erstmal den Vorgängertitel “1491” besorgt.
        Der Autor trägt schon eine ziemlich dicke US-amerikanische Brille, wenn er schreibt, dass “niemand” die Ureinwohner auf dem Zettel gehabt habe und nun plötzlich und ganz überraschend entdeckt wird, dass es vor Ankunft der Europäer vielleicht doch die eine oder andere blühende Kultur gegeben haben könnte (da herrscht in Mexiko natürlich ein ganz anderes Bewusstsein). Im Vorwort gibt er denn auch mit erfrischender Naivität zu, dass er lange nicht die blasseste Ahnung von der Existenz mittelamerikanischer Hochkulturen wie der Mayas hatte, und seine Sicht auf diese Kulturen ist entsprechend Discovery Channel-mäßig.
        Nach all diesen Abers ist das Buch trotzdem unterhaltsam und vielleicht ein hübsches Geschenk für die Lieben zuhause. Nochmal danke für den Tipp!
        Viele Grüße!
        Jürgen

        • Hallo Jürgen
          inzwischen habe ich mir auch das Vorwort von “1491” durchgelesen. Ich finde es sympathisch, dass der Autor, nachdem ihn die Neugier auf die Geschichte der Ureinwohner Mittelamerikas gepackt hat, jahrelang gewartet hat, dass ein gescheites Buch darüber erscheint, und als das nicht geschah, er dann beschlossen hat, dieses Buch selbst zu schreiben. So kann er seine und die Wissenslücken anderer schließen.
          In seinem neuen Buch “1493” hatte ich nicht den Eindruck, dass er noch durch die US-amerikanische Brille schaut. Aber vielleicht beurteilst du das aus deiner Perspektive ja ganz anders?
          Viele Grüße,
          Petra

  2. Liebe Petra,
    derzeit habe ich einen meterhohen Stapel von Büchern die darauf warten, endlich von mir gelesen zu werden. So gesehen passt mir Deine tolle Besprechung gar nicht sorichtig ins Konzept, aber dieser Titel kommt auf jeden Fall mal auf die Dringlichkeitsliste.
    Finde es übrigens spannend, was sich, wie in diesem Fall, für interessante Diskussionen aus manchen Posts ergeben. Dieses Mal hab ich besonders viel gelernt. Dafür Dir und auch dem Maya-Gott pahuatún und Jürgen Neubauer einen herzlichen Dank.
    Liebe Grüsse
    Kai

    P.S.: an JN hätte ich noch die Frage: pahuatún ist doch eine Maya-Gottheit, der Ursprung, so habe ich es verstanden, liegt in Honduras. Ist das die einzige Maya-Gottheit oder gibt es auch noch andere. Ich frag bloss so, weil JN ja offensichtlich in Mexiko lebt – und von dort einen interessanten Blog betreibt http://mexlp.wordpress.com , dem ich seit grade eben folge…

    • Lieber Kai,
      es macht immer Spaß, sich mit Menschen auszutauschen, die ein spezifisches Interesse oder ihre Kenntnisse einbringen. Bin gespannt, was pahuatún alias Jürgen als Mexiko-Experte zu deiner Frage zu sagen hat. Dessen Mexiko-Blog ist jetzt auch bei mir gespeichert.

      Zu deinem meterhohen Stapel kann ich nur sagen, dass auch mein Stapel trotz ernsthaften Bemühens einfach nicht kleiner wird. Kaum ist was abgebaut, schon hat sich der nächste Fund dorthin verirrt. Viele Bücher schaffe ich mir nicht gleich an, sondern halte sie in einem schlauen Notizbuch fest, mit unterschiedlich vielen Ausrufungszeichen. Das entlastet von dem optischen Druck und die Bücher gehen mir so nicht verloren.
      Liebe Grüße,
      Petra

  3. Wie traurig zu lesen, dass, leicht abgewandelt, noch immer dieselben Mechanismen am Werk sind. Diese sehr informative Rezension über die Vergangenheit könnte auch in der Gegenwart geschrieben sein.

  4. Eine sehr schöne, ausführliche Besprechung. Allen, die sich für das Thema interessieren, kann ich nur Alfred W. Crosbys Bücher wie “Die Früchte des Weißen Mannes” empfehlen. Sehr erhellend. Im Moment sind wohl keine deutschen Titel lieferbar.

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