Dave Goulson: Wenn der Nagekäfer zweimal klopft

Cover Goulson Insekten

© Hanser

Vor 400 Millionen Jahren entwickelten sich auf der Erde die ersten Insekten. Sie passten sich an die verschiedensten Lebensräume an und spezialisierten sich. Schon bald waren darunter die ersten Lebewesen, die fliegen konnten. Einige entwickelten die Fähigkeit zur Metamorphose, änderten also im Laufe ihres Lebens ihre Gestalt. Mittlerweile existieren Insekten in einer unglaublichen Vielfalt. Sie erfüllen wichtige Aufgaben als Bestäuber von Pflanzen, als Nahrung für andere Lebewesen, als Bodendurchlüfter und als Recyclingtruppe für tote Materie. Auch viele Schädlinge und Krankheitsüberträger sind unter ihnen. Doch obwohl es auf der Erde nur so von Insekten wimmelt – immerhin bilden sie die artenreichste Klasse im Tierreich – geben sie uns noch viele Rätsel auf. Der britische Insektenforscher Dave Goulson entschlüsselt in seinem gerade erschienenen Buch Wenn der Nagekäfer zweimal klopft einige ihrer Geheimnisse.

Ein Summen und Schwirren und Brummen in der Wiese

Im Original lautet der Titel dieses Buches A Buzz in the Meadow, denn eine Wiese ist der Ausgangspunkt für Goulsons unterhaltsame Lektionen über das “Insektenimperium”. Er besitzt ein altes Landhaus namens Chez Nauche in Frankreich, wo er einen Teil des Jahres verbringt. Nach dem Kauf im Jahr 2003 begann er damit, die zum Grundstück gehörige Wiese, die lange Zeit als Agrarland genutzt wurde, wieder zum Leben zu erwecken, damit sich möglichst viele Pflanzen- und Insektenarten dort ansiedeln konnten. Mittlerweile gibt es dort Hummelarten, die in seiner britischen Heimat nicht mehr zu finden sind. Ein perfekter Ort, um Feldforschung über Insekten zu betreiben! Seine Beobachtungen hat er in seinem neuen Buch festgehalten. Nach seinem Bestseller über die Hummel, Und sie fliegt doch, ist ihm mit Wenn der Nagekäfer zweimal klopft erneut ein begeisterndes und informatives Buch über die Insektenwelt gelungen.

Nagekäfer und andere Bewohner auf Chez Nauche

Bei einem Rundgang durch das Landhaus und über die 13 Hektar große Wiese wird der Leser gleich hineingezogen in die besondere Atmosphäre von Chez Nauche, wo vieles im alten Stil bestehen bleibt und man den Lebewesen ihren Raum lässt. Schon hier zeigt sich Goulsons fantastisches Erzähltalent:

Im kühlen Dunkel des Hauses, wo das Zirpen der Grillen nur noch als fernes Summen zu vernehmen ist, wimmelt es von dämmerungsaktiven Lebewesen, darunter zahllose Spinnenarten. Spindeldürre Weberknechte spinnen nachlässig bizarre Netze zwischen den alten Balken, von denen sie kopfüber herabhängen, während riesige Hauswinkelspinnen, Tegenaria domestica, dichte trichterförmige Gespinste weben, die in tiefe Wohnhöhlen führen, ideale Verstecke. Die Holzbalken ihrerseits sind mit Tunneln durchzogen, angelegt von den fetten weißen Larven der solitären Langhornbiene und des Gescheckten Nagekäfers, oder auch von Holzwürmern, die in Wirklichkeit gar keine Würmer, sondern winzige Käfer sind. Unter den Möbeln und in Küchenschränken lauern satinschwarze Schwarzkäfer, die sich gravitätisch langsam fortbewegen; sie sind so schwer bewaffnet, dass sie Eile gar nicht nötig haben.

Im Verlauf dieses unterhaltsamen Buches machen wir die Bekanntschaft mit weiteren tierischen Bewohnern, ihrer Lebensweise und ihren Bedürfnissen. Geschickt verknüpft der Autor konkrete Erlebnisse und Beobachtungen mit Sachinformationen über die Insektenwelt. Manches davon ist ekelhaft. Wir bemitleiden Goulsons Familie bei der “jährlichen Invasion der Stubenfliegen”, die gern im Tierdung brüten und überall ihren wiedergekäuten Speichel hinterlassen. Anderes ist bizarr, zum Beispiel das komplizierte Fortpflanzungsverhalten vieler Insekten. Es gibt Libellen, die ineinander verklammert tagelange Paarungsflüge absolvieren, während bei anderen, z.B. den Gottesanbeterinnen, die Männchen achtgeben müssen, dass ihre Partnerinnen ihnen nicht den Kopf abfressen.

Koevolution von Blumen und ihren Bestäubern

Als leidenschaftlicher Hummelforscher und –schützer widmet sich Goulson natürlich auch den Hummeln und anderen Bienenarten. Und obwohl ich sein Hummel-Buch Und sie fliegt doch bereits kenne, habe ich auch in diesem Buch viel Neues über sie erfahren. Das komplexe Wechselspiel zwischen Blumen und ihren Bestäubern hat erstaunliche Fähigkeiten hervorgebracht. So können manche Pflanzen einen Schleudermechanismus auslösen, mit dem der Blütenpollen auf bestimmte Körperteile der Insekten übertragen wird. Einige Pflanzen sind in der Lage, Wärme zu produzieren oder zu speichern. Damit helfen sie den Bienen, ihre Flugmuskulatur warm zu halten! So nützt man sich gegenseitig.

Faszinierende Forschung

Ich war immer wieder erstaunt, auf was für Ideen Goulson und seine Studenten kamen, was sie konkret erforschten. So untersuchten sie z.B. die “Händigkeit” von Hummeln, also ob sie lieber links oder rechts um eine Blüte herumfliegen und von welcher Seite sie die Blüten am liebsten anknabbern, um den Nektar zu stehlen. Goulsons Doktorarbeit befasste sich mit einem Schmetterling, dem Großen Ochsenauge. Sein Interesse galt der Anzahl der Pünktchen auf dem Hinterflügel und den variantenreichen Genitalien. Zur Untersuchung verwendete er flüssigen Stickstoff, mit dem er die Schmetterlinge schockgefrieren konnte! Er hoffte so etwas über die Selektionsmechanismen herauszufinden. Für solche Projekte braucht man extrem viel Kreativität, Zeit und Geduld! Leider fehlt oft das Geld für langfristige Projekte, um ökologische Prozesse und die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Lebewesen zu untersuchen. Wissenschaftler sind daher auch auf die Hilfe vieler Hobbyforscher angewiesen!

Abwechslungsreicher Stilmix

Die Lektüre wird nie langweilig, denn Goulson setzt verschiedene Elemente ein, die neben den informativen Ausführungen für Auflockerung sorgen: Impressionen von seinen Joggingrunden mit der jeweiligen Anzahl an Menschen, Hunden, Schmetterlingen und Vögeln, ironische Rückblicke auf seine Kindheit und Studienzeit, Anekdoten aus seiner eigenen Feldforschung, aber auch von anderen Entomologen. Köstlich zu lesen sind seine Beschreibungen gescheiterter Projekte oder Katastrophen bei der Renovierung seines alten Landhauses.

Engagement für den Artenschutz

In den letzten Kapiteln seines Buches schlägt Goulson ernstere Töne an. Er verdeutlicht, wie stark das von Menschen verursachte weltweite Artensterben unsere Existenz bedroht – vor allem der weltweite Rückgang der Bienenvölker. Für das Verschwinden der Bienen gibt es gleich mehrere Ursachen: die vielen Umweltsünden der Menschen, die Intensivierung der Landwirtschaft, fragmentierte Lebensräume, der Verlust wichtiger Refugien wie ursprünglicher Wiesen. Vor allem der Einsatz von Pestiziden, zum Beispiel der Neonicotinoide und Glyphosat, hat zu einem massiven Rückgang vieler Bienenarten geführt und verursacht Langzeitschäden, die wir noch gar nicht absehen können. Hier besteht viel Forschungsbedarf. Goulsons Buch ist auch ein Plädoyer für den Artenschutz und den Erhalt der Biodiversität. Der Erhalt urwüchsiger Graslandschaften und die Schaffung neuer Biotope wie seiner Wiese in Frankreich sind ein Anfang!

Diese ernste Botschaft ändert aber nichts daran, dass es sich um ein humorvolles, engagiertes, spannendes, ungeheuer lehrreiches Buch mit hohem Unterhaltungswert handelt! Wer versteht, was er zu verlieren hat, ist vielleicht auch bereit, selbst einen Beitrag zu leisten. Es lohnt sich also, dieses Buch zu lesen!

Dave Goulson: Wenn der Nagekäfer zweimal klopft – Das geheime Leben der Insekten
Aus dem Englischen von Sabine Hübner
Hanser Verlag 2016, 320 Seiten
ISBN 978-3-446-44700-4
Taschenbuch-Ausgabe mit dem Titel Das Summen in der Wiese: Verlag Ullstein 2018
ISBN 978-3-548-37750-6
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9 Kommentare

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  2. Nach Deiner engagierten Rezension, liebe Petra, vorfreue ich mich noch mehr auf meine Lektüre von Dave Goulsons neuestem Buch.
    Sein Hummel-Buch war bereits eine wunderbare Horizonterweiterung!
    Sonnige Grüße von
    Ulrike

    • Es wird dir sicher ebenso gut gefallen wie sein Hummel-Buch, liebe Ulrike! Ich warte übrigens schon sehnsüchtig auf die ersten Hummelköniginnen im Garten!

      • Oh ja, das tue ich auch. In meinem Garten blüht schon eifrig Lungenkraut, der Nektartisch ist also schon mal gedeckt. Doch bisher habe ich noch keine Hummelkönigin gesichtet und die letzte Woche war es sehr kalt und es hat sogar noch geschneit.
        Nachtaktive Grüße ;-)

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