Johanna Romberg: Federnlesen – Vom Glück, Vögel zu beobachten

Cover Romberg Federnlesen

© Lübbe

Kennt ihr den Begriff »Jizz«? Im englischen Sprachraum, unter Birdwatchern, ist dieses Wort gebräuchlich für die typischen Merkmale eines Vogels: Gestalt, Flugstil, Gesang, die Färbung des Gefieders – alles, was ihn unverwechselbar macht. In ihrem Buch Federnlesen – Vom Glück, Vögel zu beobachten beschreibt die preisgekrönte Wissenschaftsjournalistin Johanna Romberg, wie sie zur Hobby-Ornithologin wurde und lernte, Vögel an ihrem Jizz zu erkennen.

Schon das erste Kapitel des Buches hat mich gepackt, denn es geht um das für mich so schwierige Erkennen von Vogelstimmen. Romberg empfiehlt, damit im Winter zu beginnen. In dieser Zeit ist nicht viel los in der heimischen Vogelwelt. Zugvögel haben das Land verlassen. Die Bäume sind kahl, so dass die verbliebenen Arten gut zu sehen und zu hören sind. Da fällt es leicht, sie zu identifizieren. Wenn die Zugvögel im Frühling zurückkehren, hat man schon mal ein gewisses Repertoire. Ich habe sofort überlegt, wie viele Vögel ich am Gesang erkennen kann und bin bei knapp 20 Arten gelandet. Das ist ausbaufähig!

Lebendig und humorvoll beschreibt Romberg, wie ihre wanderfreudigen Eltern die Liebe ihrer Tochter zur Vogelbeobachtung weckten. Ausgestattet mit einem Kinderfernglas und dem Bestimmungsbuch Was fliegt denn da? ging es auf Tour. Das Aufspüren und Identifizieren von Vögeln wurde schnell zu einem geliebten Familienritual und ließ die Mühen des Wanderns vergessen. Romberg gehörte zwar nie zu den wahrhaft besessenen Birdern, entwickelte aber eine große Neugier für die Vogelwelt und den Ehrgeiz, möglichst viele der 337 Arten aus ihrem Vogelbestimmungsbuch kennenzulernen.

Alpenschneehuhn

Auch nach Jahrzehnten lässt es ihr keine Ruhe, ob sie bei einem Wanderurlaub in Kärnten ein Alpenschneehuhn oder ein Steinhuhn sah. Diese Begegnung, vor allem die ungelöste Frage, beflügelte ihre immerwährende Leidenschaft für das Beobachten der Vögel. Als Leserin gab es für mich ein ungewöhnliches Zusammentreffen, denn kurz nach der Lektüre beobachtete ich beim Wandern in Vorarlberg ein Alpenschneehuhn. Der Vergleich mit der schönen Illustration von Florian Frick im Buch ließ keinen Zweifel offen, um welche Art es sich handelte!

In ihrem Buch Federnlesen hat Johanna Romberg viele faszinierende Geschichten über das Beobachten von Vögeln zusammengetragen. Auf Helgoland erlebte sie zusammen mit hochkonzentrierten Birdwatchern den Aufenthalt der Zugvögel und war von der Flugleistung winziger Wintergoldhähnchen beeindruckt. In Frankfurt besuchte sie eine Spezialklinik, in der verletzte Mauersegler hingebungsvoll von einer Tierärztin und ihrem Team gepflegt werden. Sie sprach mit Ornithologen über die vielfältigen Bedrohungen der Vogelwelt und darüber, welche Aufgaben die Politik zum Schutz der Artenvielfalt lösen muss. Doch auch besondere Glücksmomente teilt sie mit uns. Für eine Reportage reiste sie einst nach Ägypten und beobachtete die bei uns so seltenen Wiedehopfe – dort sind sie sehr verbreitet und äußerst zutraulich. Und in Israel begegnete sie gleich fünf seltenen Arten, darunter Blaukehlchen und Ortolane.

Auch die Bedingungen in unterschiedlichen Lebensräumen werden im Buch thematisiert. Romberg erzählt von Vögeln wie dem Flussuferläufer, die in den Städten und Industriebrachen ihrer alten Heimat, dem Ruhrpott, eine Nische gefunden haben; von Grünspechten und ihren schrumpfenden Habitaten in den Wäldern; aber auch von Greifvögeln, die durch Windkraftanlagen gefährdet sind.

Vor allem auf das Konzept des Jizz kommt die Autorin immer wieder zurück, denn es ist sehr hilfreich beim Erkennen von Vögeln.

Je länger ich beobachtete, desto mehr lernte ich, Vögel als Gesamtkunstwerk wahrzunehmen, als Zusammenspiel nicht nur aus Farben und Form, sondern auch aus Bewegungsmustern, Flugbild, Nistgewohnheiten und anderen Verhaltensauffälligkeiten – dem Jizz eben.

Romberg vergleicht es mit vertrauten Personen, die wir aus der Entfernung anhand ihres unverwechselbaren Erscheinungsbildes erkennen können. Sie berichtet schmunzelnd von ihrem Vater, der Blaumeisen wegen ihres grimmigen Blicks und ihrer rastlosen Energie mit dem verstorbenen CSU-Politiker Franz-Josef Strauß verbindet. Diese Beschreibung löste bei mir Assoziationen an eigene Beobachtungen aus: an »Madame Bachstelze«, die (egal ob Männchen oder Weibchen) bei mir so heißt, weil sie trippelnd und hochwichtig über den Rasen schreitet, oder die schwatzhaften jungen Kohlmeisen, die als »Fähnlein Fieselschweif« im Trupp durch die Gärten ziehen, oder an die knicksenden, heiser klingenden Hausrotschwänzchen – ihr Jizz ist einfach unverwechselbar! Mit solchen Gedankenstützen erschließt sich die Vogelwelt allmählich.

Außerdem hat Romberg einige praktische Tipps auf Lager, zum Beispiel über den richtigen Gebrauch von Ferngläsern. Sie empfiehlt einige detaillierte Nachschlagewerke zum Bestimmen von Vögeln und nennt hilfreiche Netzwerke im Internet. Hervorzuheben ist das unabhängige Journalisten-Netzwerk Flugbegleiter – Ihre Korrespondenten aus der Vogelwelt, das Romberg mitbegründet hat und das ich euch als begeisterte Leserin der Beiträge sehr ans Herz legen möchte!

Mit ihrem Buch Federnlesen verbindet Johanna Romberg auch die Hoffnung, Aufmerksamkeit für die vielen bedrohten Vogelarten zu wecken, denn:

Je mehr Menschen sich für Vögel interessieren, sie beobachten, erforschen, bestaunen, sie als Teil ihrer Heimat betrachten, desto mehr werden sich auch für sie engagieren und ihre verbliebenen Lebensräume gegen die Begehrlichkeiten von Landnutzern, Verkehrsplanern und bauwütigen Bürgermeistern verteidigen.

Trotz dieser ernsten Töne ist ihr Buch vor allem eine Verführung zum genaueren Hinschauen und Hinhören! Johanna Romberg gelingt es dank einer geschickten Kombination aus persönlichen Eindrücken und Anekdoten aus dem Familienleben, Reisebeschreibungen, Erkenntnissen der Vogelforschung und aktuellen Informationen zum Thema Naturschutz, uns die Vogelwelt nahezubringen. Auf zum Federnlesen!

Johanna Romberg: Federnlesen – Vom Glück, Vögel zu beobachten
Lübbe Verlag 2018, 304 Seiten mit Illustrationen von Florian Frick
ISBN 978-3-431-04088-3
Leseprobe

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Nominiert als Wissensbuch des Jahres 2018 in der Kategorie Unterhaltung

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6 Kommentare

  1. Liebe Petra,
    mich hat die Lektüre von “Federnlesen” auch sehr beflügelt und Deine Besprechung weckt auf jeden Fall die Leseentdeckerlust.

    „Federnlesen“ ist eine persönliche Naturkunde, die ihre Leser für Vogelbeobachtung begeistern und zum Vogelschutz animieren möchte – beides gelingt. Dabei ist das Buch äußerst angenehm und spannend zu lesen, ohne mit zu viel Fachwissen zu überfordern. Die Kombination aus konzentrierten klaren Informationen und subjektiver Naturerfahrung vermittelt mit Gefühl und Verstand sowohl nützliches Wissen als auch konstruktive Anregungen zur persönlichen Mitwirkung beim Vogelschutz sowie zur Praxis der Vogelbeobachtung.
    Anbei der Link zu meiner Rezension:
    https://leselebenszeichen.wordpress.com/2018/05/02/federnlesen/

    Mit herzlichem Gruß
    Ulrike von Leselebenszeichen

    • Vielen Dank für den Link zu deiner ausführlichen Buchvorstellung, liebe Ulrike! Es ist wirklich ein begeisterndes Buch, das jedem an der Natur interessierten Leser zu empfehlen ist.

  2. Vielen Dank für diesen Buchtipp. Das Buch ist wahrlich mehr, als ”nur” ein Werk für den Birder aka Vogelbeobachter und daher jedem zu empfehlen, der mal ein bisschen über den Alltagsrand unserer Naturvorstellung hinausschauen mag.

    Im Gegenzug hätte ich auch eine interessante Trilogie anzubieten, die mal EIN bisschen ANDERS auf unsere technologischen Errungenschaften blickt und menschliches Treiben im Kontext des Lebens auf ungewöhnliche Weise betrachtet:

    WAHRHEIT – WAHNSINN – WIRRWARR

    Der Autor? Ich selbst ;-)

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