Robert Macfarlane/Jackie Morris: Die verlorenen Wörter

Cover Macfarlane Morris Wörter

© Matthes & Seitz

Hast du schon mal vom Blauglöckchen gehört? Kennst du noch die Elster? Den Zaunkönig? Die Weide? Wenn nicht, solltest du dieses Buch lesen. Was passiert, wenn Wörter aus unserem Wortschatz verschwinden? Erinnern wir uns noch an das, was sie einst bezeichneten? Oder geht es unwiederbringlich verloren?

Der britische Naturschriftsteller Robert Macfarlane versammelt in seinem Buch Die verlorenen Wörter – Ein Buch der Beschwörungen zwanzig Naturbegriffe, die aus einem britischen Wörterbuch für Kinder, dem “Oxford Junior Dictionary”, gestrichen wurden. Mit seinen Sprüchen und Beschwörungen holt er die Wörter zurück aus der Verbannung. Diese Texte sind dazu gedacht, sie laut zu lesen wie Zaubersprüche. Und das ist ein wahres Vergnügen! Für die  Illustration hat Macfarlane die Künstlerin Jackie Morris gewonnen, die seine Beschwörungen hinreißend umgesetzt hat.

In den Sprüchen wird das Charakteristische einer Pflanze oder eines Tieres lustvoll inszeniert. Sie sind rätselhaft und verspielt, manchmal gereimt und manchmal gerappt, oft mit einem leichten Augenzwinkern. Eine Natter taucht auf, die sinuswellengleich treidelt, und ein Rabe, der nie um eine Antwort verlegen ist. Da wird die Rankwütigkeit der Brombeere verdeutlicht, das Holzherz einer Weide besungen und geschwärmt vom “teerhellen Ölschlickschimmer eines Starenflügelflimmerns”. Ein Zitat gibt nicht mal annähernd den Kontext und die Melodie dieser Verse wieder, daher solltest du das Buch Die verlorenen Wörter selbst lesen und all seine Geheimnisse ergründen.

Jedem Naturbegriff sind drei Doppelseiten gewidmet: die Szenerie auf der ersten Seite ist noch ganz sparsam gezeichnet, verweist aber schon auf den verborgenen Begriff. Sie enthält eine Buchstabensuppe, in der das Wort versteckt ist. Begib dich auf die Suche nach den Buchstaben, die sich farblich von den anderen abheben. Auf der zweiten Doppelseite findest du die Beschwörung. Jeder Buchstabe bildet den Auftakt zu einer Zeile oder einer Strophe des Spruches. Akrostichon nennt man das. Es muss unglaublich schwierig für die Lyrikerin und Übersetzerin Daniela Seel gewesen sein, den lautmalerischen, sinnlichen Charakter dieser Zeilen einzufangen! Lies sie unbedingt laut, dann verstehst du, wie perfekt ihr das gelungen ist! Die Zeichnungen dazu sind auf das Wesentliche konzentriert, zeigen nur den Farn, den Löwenzahn, das Wiesel, den kleinen Zaunkönig. Auf der dritten Doppelseite ist das Tier oder die Pflanze in ihre natürliche Umgebung eingebettet, in wunderbar organischen Farbtönen. Ein Anblick zum Genießen!

Marina Büttner schreibt dazu in ihrem Blog Literaturleuchtet: “Es ist Buchkunst, Kunstbuch, Bilderbuch, Wörterbuch und Gedichtband in einem. Großformatig und einfach unwiderstehlich illustriert von Jackie Morris, ist es wirklich eine Perle und ein geradezu himmlisches „Verschenkbuch“.” Das umfasst alle Qualitäten von Die verlorenen Wörter!

Lass dich hineinziehen in dieses Buch mit seinen zauberhaften Beschwörungen – egal, ob du groß oder klein, jung oder alt bist! Löse die Rätsel, die in den Versen verborgen sind. Finde die verlorenen Wörter! Und dann begib dich auf eine Entdeckungsreise in die Natur. Noch sind all diese Tiere und Pflanzen nicht verloren.

Nominiert als Wissensbuch des Jahres 2019 in der Kategorie Perspektive

Robert Macfarlane/Jackie Morris: Die verlorenen Wörter – Ein Buch der Beschwörungen
Aus dem Englischen von Daniela Seel
Verlag Matthes & Seitz 2019, 134 Seiten mit 100 Abbildungen
Ab 5 Jahren
Reihe Naturkunden
ISBN 978-3-95757-622-4
Leseprobe

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20 Kommentare

  1. oh, das klingt gut! Ich lese gerade LANDMARKS von McFarlane, da geht es auch um verlorene oder nicht bekannte Wörter zum Beispiel in Bezug auf Moore und Tümpel etc. Kompliziert, aber wie du sagst, Kunst im sprachlichen Ausdruck. LG

  2. Ein tolles Buch und nicht nur für Kinder!

  3. Liebe Petra,

    mich hat dieses poetisch-naturverbundene “Bilderbuch” ebenfalls sehr begeistert, wie Du unter dem nachfolgenden Link gerne besichtigen kannst:
    https://leselebenszeichen.wordpress.com/2019/04/04/die-verlorenen-woerter/

    Das Suchen und Finden, Lauschen und Schauen, Erinnern und Imaginieren, das uns dieses bemerkenswerte Buch bildlich sowie sprachlich ermöglicht, sind ein zauberhaftes, wildniswirksames Vergnügen, bei dem wir in den geheimnisvollen Wortwedeln, Fiederzeilen, Fragefrüchten, Rankenzeichen und Federworten des Autors Robert Macfarlane der Natur begegnen.

    Herzensgruß von
    Ulrike

    • Vielen Dank, liebe Ulrike, zu deiner ausführlichen, buchverliebten Rezension! Es ist eines dieser Werke, die man immer wieder zur Hand nehmen und etwas neues entdecken kann :)

  4. Ich habe kürzlich The Wild Places von Mcfarlane gelesen und war sehr beeindruckt von der Sprache und der Naturverbundenheit des Mannes. Will jetzt alle seine Bücher lesen, auf das hier freue ich mich besonders!A

    • Das kenne ich als deutsche Ausgabe. “Karte der Wildnis” gefiel mir nur teilweise, vielleicht hatte ich aufgrund der positiven Resonanz zu hohe Erwartungen. Manche Passagen waren wunderschön zu lesen, aber insgesamt fand ich es zu kalkuliert. In einer Woche erscheint ja sein neues Buch “Im Unterland”. Das werde ich mir auf keinen Fall entgehen lassen, denn es geht um Höhlen!
      Viel Spaß wünsche ich dir mit den “Verlorenen Wörtern” :)

  5. Da schaue ich auf jeden Fall mal rein — wegen der Übersetzung! Wenn neben dem Bezeichneten das Bezeichnende im Mittelpunkt steht, ist es natürlich spannend zu sehen, was die Übersetzerin damit gemacht hat. Und dann müsste man die Idee übersetzen und ein analoges Buch mit aussterbenden deutschen Begriffen schreiben!

    • Ein Vergleich mit der Originalausgabe wäre sicher spannend! Auch in diesem Buch werden Wörter verwendet, die kaum noch benutzt werden, wie treideln, Durmentill oder die vielen alten Begriffe für den Löwenzahn. Macht Spaß, das nachzuschlagen!

      • Mir war gar nicht klar, dass das so ein üppig bebildertes Buch ist. Auf der Seite von Matthes & Seitz kann man reinblättern, und da habe ich mir einen ersten Eindruck verschafft. Aber für den Anfang habe ich mir dann doch die englische Ausgabe kommen lassen — etwas günstiger von hier aus. (Die Musik habe ich mir auch angehört, die Musiker haben das ganze Album auf YouTube eingestellt. “Walk through the world with care, my love / And sing the things you see” — wie anders hätte das aus dem Mund von Walt Whitman geklungen…)

  6. Jetzt poste ich doch noch den Link zum Video, weil da auch ein bisschen was von der Entstehung der Bilder zu sehen ist: https://youtu.be/Hg1xFYpXuWA

  7. Vor etwa 4 Jahren las ich ein Buch über 90er-Jahre-Wörter, die es sogar in den Duden geschafft haben und nun nicht mehr genutzt werden.
    So etwas ist allemal spannend.

  8. Jetzt taucht unerwartet eine ganz andere Frage auf, liebe Petra. Ich habe mir das Buch in der US-Ausgabe gekauft bin von der handwerklichen Qualität des Buchs rundum enttäuschend: Auf dem gestrichenen Papier ging die Tiefe der Aquarelle verloren, der Druck war verwischt und verwaschen, die Farben trist und trüb. Wie ist die deutsche Ausgabe? Mattes Papier, hoffentlich? Der Druck scharf, die Farben lebendig? Ich hatte überlegt, das Buch zu verschenken, aber wenn die Qualität der deutschen Ausgabe nicht besser ist als das, was ich eben aufgeklappt habe, dann lasse ich es lieber.
    Abgesehen davon — die Texte sind wunderbar, und die Aquarelle, oder was man von ihnen erahnen kann, sind es auch.

    • Die deutsche Ausgabe ist von exzellenter Qualität: mattes, weiß bis cremefarbenes Papier, gestochen scharfe Illustrationen, leuchtende Farben auf teils mattem Hintergrund. Ich sende dir demnächst ein paar Fotos, damit du mit der US-Ausgabe vergleichen kannst. Liebe Grüße, Petra

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