Thor Hanson: Federn – Ein Wunderwerk der Natur

Cover Hanson Federn

© Matthes & Seitz

Dank ihrer Federn können Vögel fliegen und die stärkste Hitze und Kälte überstehen. Ihr Gefieder schützt die Haut im Wasser vor dem Nasswerden. Federn besitzen geniale Eigenschaften, die der Mensch zu imitieren versucht. In seinem Buch Federn erzählt der amerikanische Biologe Thor Hanson von der Naturgeschichte der Feder und beleuchtet wichtige Kontroversen der Evolutionsbiologie. Auch die verschwenderische Schönheit von Federn und ihre Bedeutung für die Kultur der Menschen kommen nicht zu kurz.

Vögel geben der Evolutionsbiologie noch immer viele Rätsel auf. Lange Zeit galt der 1861 bei Solnhofen gefundene Archaeopteryx als Urform der modernen Vögel. Er lebte während der Kreidezeit vor etwa 150 Millionen Jahren. Doch Hanson berichtet von einer fantastischen Ausgrabungsstätte, der Yixian-Formation im Nordosten Chinas. Dort werden ständig neue Fossilien von gefiederten Sauriern entdeckt, die teils sogar älter sind als der Urvogel Archaeopteryx. Sind Vögel aus Flugsauriern hervorgegangen oder haben sie sich eigenständig entwickelt? Hanson sprach mit Paläontologen und erhielt detaillierte Einblicke in deren Forschungsmethoden und Denkprozesse.

Die Entstehung von Federn ist noch nicht restlos aufgeklärt. Vermutlich haben sie sich in mehreren Stufen aus einfachen Borsten entwickelt und wurden mit der Zeit immer komplexer. Forscher diskutieren leidenschaftlich die Evolution der Flugfähigkeit. Sind die ersten Vögel von Bäumen gehüpft und herabgesegelt oder konnten sie sich vom Erdboden in die Luft erheben? Bei Hühnerküken kann man eine Technik beobachten, die „flügelunterstütztes Steigungslaufen“ genannt wird (wing-assisted incline running = WAIR). Dabei versuchen die Küken durch in die Luft Springen und heftiges Flattern mit den Flügeln, Schrägen zu überwinden, um sichere Plätze in der Höhe zu erreichen. Könnte das der Ursprung des Fliegens sein? Diese vielversprechende neue Theorie diskutierte Hanson mit Ken Dial, ihrem Entwickler.

Tausende Federn bedecken die Körper der Vögel: Konturfedern, Daunen, Borstenfedern und viele andere, hochspezialisiert je nach ihrem Zweck. Sie sind nicht nur zum Fliegen geeignet, sondern dienen auch dazu, die Vögel perfekt gegen Hitze oder Kälte zu isolieren. Bei einer winterlichen Exkursion bewunderte Hanson einen Schwarm Indianergoldhähnchen, die dank ausgefeilter Feinstruktur ihrer Federn der Kälte bei – 27 Grad trotzten.

Federn existieren bei den männlichen Vögeln in den aberwitzigsten Farben und Formen. Der Naturforscher Alfred Russel Wallace war begeistert von der Schönheit der Paradiesvögel, denen er während seiner Expedition auf dem Malayischen Archipel begegnete. Aufmerksam studierte er ihr Paarungsverhalten. Auf einer Balzarena präsentieren die Männchen dieser Art ihr Gefieder in einem ausdrucksstarken Tanz, um Weibchen für sich zu gewinnen. Wunderschöne Schwarz-Weiß-Abbildungen im Buch vermitteln einen Eindruck davon. Manche Vogelarten wie die Keulenschwingenpipra sind sogar fähig, mit ihren Flügeln Töne zu erzeugen, ähnlich wie bei den Saiten einer Geige. Thor Hanson stellt uns die konkurrierenden Theorien zur Balz und Partnerwahl vor. Für die Weibchen sind Tarnfarben in grau und braun angesagt, um sich und ihren Nachwuchs zu schützen.

Anders ist das bei den Menschen, wo die Frauen als das schöne Geschlecht gelten und sich herausputzen, natürlich auch gern mithilfe von Federschmuck. Federn dienten vielen Naturvölkern als Schmuck und Statussymbole. Sie wurden als Währung benutzt und waren eine begehrte Handelsware. Als Accessoires und in der Hutmode waren sie früher sehr gefragt. Daher befanden sich an Bord der 1912 gesunkenen Titanic auch vierzig Kisten mit Federn, bestimmt für New Yorker Hutmacher! Der Hype um Federn führte beinahe zum Aussterben einiger Arten wie dem Silberreiher – bis um 1900 herum die ersten Vogelschutzorganisationen entstanden, um der intensiven Jagd ein Ende zu bereiten.

Das Thema Federn hat viele Facetten. Für seine Recherchen hat Thor Hanson daher zahlreiche Experten befragt und Reisen unternommen. So besuchte er eine Federnfabrik, in der Federn sortiert und gereinigt werden. Dort stand er fasziniert vor der vollverglasten Sortiermaschine. In Las Vegas hat er sich am Sunset Strip herumgetrieben, um die mit Federn geschmückten Kostüme von Showtänzerinnen zu bewundern. Eine Federfärberin beobachtete er bei ihrem Handwerk und lernte dort alles über die Pigment- und Strukturfarben, aus denen das Vogelgefieder besteht. Außerdem berichtet er äußerst humorvoll von seiner Feldforschung und heimischen Experimenten, in die seine Familie oft involviert war – ein Naturschutzbiologe, der mit ganzem Herzen bei der Sache ist.

Mit seinem Buch Federn gelingt es Thor Hanson auf unterhaltsame Art, das Wunderwerk Feder begreiflich zu machen und die Leser an seinem Staunen teilhaben zu lassen. Es ist voller spannender Informationen und lebendig erzählter Anekdoten zur Natur- und Kulturgeschichte der Feder.

Thor Hanson: Federn – Ein Wunderwerk der Natur
Originaltitel: Feathers: the Evolution of a Natural Miracle
Aus dem amerikanischen Englisch von Nina Sottrell, Meike Herrmann und Daniel Fastner
Verlag Matthes & Seitz 2016, 276 Seiten mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen
Reihe Naturkunden
ISBN 978-3-95757-232-5

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12 Kommentare

  1. Pingback:Vorfreuden für Leseratten I Frühjahr 2016 – Elementares Lesen

  2. Liebe Petra,
    das Titelbild mit den feinen Federzeichnungen ist bereits ein erfreulicher Blickfang und dazu noch die ausgesprochen BEFLÜGELNDE Buchbesprechung aus Deiner “Feder” …
    Danke für die detaillierte, interessante und spannende Leseverführung!
    Ich besitze einige Schreibfedern (u.a. einenGänsekiel) und nehme sie gelegentlich gerne zur Hand, um mich daran zu erinnern, daß Schreiben von den Flügeln des Geistes belüftet und beschwingt wird. Und selbst die inzwischen üblicheren Metallfedern, heißen immernoch Federn.
    Solches Schreibwerkzeug wurzelt also in der Luft.
    Mit einer Feder zu schreiben ist doch eine ganz andere Schreibweise als auf eine Tastatur zu tippen. Es erfordert auch mehr feinmotorischen körperlichen Einsatz.

    Herzliche, federleichte Grüße von
    Ulrike :-)

    • Petra Wiemann

      Dann wird es dich freuen, dass Thor Hanson auch auf die Feder als Schreibgerät eingeht. Mit einer echten Feder habe ich noch nie geschrieben, aber eine Stahlfeder habe ich früher gern mal benutzt.
      Viele Grüße, Petra

  3. Neben Eicheln und Kastanien, zählten auch immer ein paar schöne (und in meinen Augen ganz ungewöhnliche) Federn zum Inhalt meiner Kinderschatztruhe. Dass es zumeist nur Entenfedern waren, wurde mir erst bewusst, als meine Eltern mich mit in den Vogelpark nahmen…
    Das Buch weckt Erinnerungen! ;-)

  4. Eine schöne Besprechung, liebe Petra – Ulrikes “beflügelnd” ist da prima gewählt : ) Das Buch steht auch auf meiner Wunschliste und eignet sich bestimmt wieder als Geburtstagsgeschenk für meinen Ornithologen-Vater, den ich nun schon mit einigen Bänden aus der wunderbaren Reihe erfreuen konnte.
    Liebe Grüße
    Petra

    • Das trifft sich ja gut – ein weiteres Familienbuch für euch Vogelfreunde! Beflügelnd wirkte beim Verfassen das rege Geflatter in und über meinem Garten ;-)
      Liebe Grüße, Petra

  5. Was für ein wunderbar abseitiges Thema, aus dem man wieder mal die ganze Welt herauslesen kann. Und wie schön, dass Verlage bei allem Gejammer immer noch Bücher wie diese machen.

    • Das ist schön gesagt: die ganze Welt aus diesem wunderbar abseitigen Thema herauslesen – einer der Gründe, warum mir manche Bücher so gut gefallen!

  6. Pingback:Tag 25 | 30 Days Book Challenge | Irgendwas ist immer

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