Michael Krause: Wo Menschen und Teilchen aufeinanderstoßen – Begegnungen am CERN

Krause Wo Menschen und Teilchen aufeinanderstoßen

© Wiley Verlag

Seit 1954 existiert in der Schweiz das Kernforschungszentrum CERN. Dort arbeiten mehr als 10.000 Wissenschaftler aus ca. 85 Nationen gemeinsam an der Erforschung der Materie, aus der unser Universum besteht. Am wichtigsten ist die Suche nach fehlenden Elementarteilchen, um das Standardmodell der Physik zu bestätigen. Im Juli 2012 wurde dort die Existenz des Higgs-Bosons, des wichtigsten Bausteins auf diesem Weg, mit nahezu 100%iger Wahrscheinlichkeit  nachgewiesen, was zum Nobelpreis für die Entdecker Peter Higgs und Francois Englert führte.

Wie es zur Gründung dieser einzigartigen Forschungseinrichtung kam und welche technischen Instrumente, Teilchenbeschleuniger und Detektoren dort zum Einsatz kommen, berichtet Michael Krause in seinem spannenden neuen Buch Wo Menschen und Teilchen aufeinanderstoßen. Das ursprüngliche Ziel der CERN-Gründer bestand darin, friedliche Grundlagenforschung für nichtmilitärische Zwecke zu betreiben, die amerikanische Dominanz auf dem Gebiet der Kernphysik aufzubrechen und die kostspieligen Experimente, die dies erforderte, auf europäischer Ebene gemeinsam zu finanzieren. Mittlerweile gibt es Kooperationen mit Wissenschaftlern auf der ganzen Welt und einen globalen Austausch über die Ergebnisse dieser Arbeit.

Über mehrere Jahre hinweg hat der Autor Michael Krause Mitarbeiter am CERN befragt, wie sie zur Teilchenphysik gekommen sind und was sie bei ihrer Forschung antreibt. Denn der menschliche Faktor steht im Vordergrund seines Buches. Was macht einen Physiker aus? Wie lebt und arbeitet man am CERN? Welche Hoffnungen und Wünsche hegen die Forscher für die Zukunft? Übereinstimmend erzählen sie von der Neugier, die sie bereits als Kinder verspürten, dem Drang, den Dingen auf den Grund zu gehen und einer Affinität zur Mathematik oder Physik.

Von Jonathan Butterworth können wir etwas über die Schönheit der Mathematik und des Universums lernen. Und Tara Shears bezeichnet die Cafeteria als einen der wichtigsten Orte des CERN, denn „Hier wird wirklich Physik gemacht. Hier hat alles, was am CERN geschieht, seinen Ursprung. Bei einer Tasse Kaffee.“ Vor allem, weil sie ein Ort der Begegnung und des Austausches ist. Wichtig ist auch die Öffentlichkeitsarbeit, wie Rolf Landua herausstellt. Denn um zukünftige Forscher gewinnen zu können, muss bereits in den Schulen angesetzt werden, wo Physik meistens “ein totes Thema” ist. Auch daran, die Begeisterung der Menschen zu wecken, wird am CERN gearbeitet.

Besonders motiviert die Forscher die Tatsache, dass erst 5% der Materie im Universum bekannt ist. Die restlichen 95 % bestehen aus noch nicht nachgewiesenen Substanzen wie der Dunklen Materie und der Dunklen Energie. Das Higgs-Boson ist auf diesem Weg laut Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer „ein Meilenstein in der Entwicklung unseres Verständnis des Mikrokosmos und des frühen Universums“.

Die Befragten sind sich darin einig, dass das CERN eine Vorbildfunktion für unsere Gesellschaft übernehmen kann. Die Art, wie Probleme dort länderübergreifend in Teams mit flachen Hierarchien gelöst werden, ist vorbildlich und könnte auch beim Lösen globaler Probleme helfen. Eigene Interessen werden dem Wohle des Ganzen untergeordnet. Forscher am CERN erleben die Zusammenarbeit mit Menschen aus anderen Kulturen als große Bereicherung. Sie müssen aber auch lernen, sich aufeinander einzustellen und sich als Teil eines großen Projekts zu begreifen, denn die Forscherteams können aus Hunderten von Menschen bestehen und die eigene Arbeit ist einer ständigen Kontrolle unterworfen. Damit kommt nicht jeder Mensch zurecht. Was sie eint, ist aber der Gedanke, etwas Grundlegendes für die Menschheit zu tun.

Unter den Befragten sind Generaldirektoren des CERN, ein Nobelpreisträger, Mitarbeiter aus Japan, Indien, USA, Großbritannien und Deutschland, Forscher vom LHC, ATLAS und anderen wichtigen Experimenten. Gern hätte ich mehr über die Umstände und Zeitpunkte der Interviews erfahren. Manche Gespräche waren eher technisch geprägt, manche etwas persönlicher. Ein Satz tauchte in vielen Varianten auf: “Wir wissen es nicht.” Selbst nach der Entdeckung des Higgs-Bosons ist die Menge dessen, was noch unbekannt ist, gewaltig. Dies ist aber auch ein Aspekt, der die Forscher motiviert, immer weiter zu suchen mit Beharrlichkeit und ihrer wichtigsten Eigenschaft – der Neugier!

Zwischen den elf Interviews befinden sich Exkurse über die Wissenschaftsgeschichte und deren berühmteste Köpfe, über die Geschichte des Atommodells, die vier Elementarkräfte der Physik, das Standardmodell der Teilchenphysik oder zur Antimaterie. Diese Mischung aus Interview und Information ist dem Autor sehr gut gelungen und macht sein Buch zu einer gewinnbringenden Lektüre.

Michael Krause: Wo Menschen und Teilchen aufeinanderstoßen – Begegnungen am CERN
Wiley Verlag 2013
ISBN 978-3-527-33398-1

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