Boris Lemmer: Bis(s) ins Innere des Protons

© SpringerSpektrum

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Mit nahezu Lichtgeschwindigkeit rasen die Protonen rechts und links durch den ringförmigen Tunnel, nur durch kräftige Magneten auf einer Kreisbahn gehalten – und dann: bäm! begegnen sie sich und kollidieren miteinander – es ist fast so schön wie damals beim Urknall! Teilchen, die schon längst ausgestorben sind, werden wieder zum Leben erweckt, hauchen ihr Leben aber gleich wieder aus.

Wir befinden uns am Schweizer Kernforschungszentrum CERN, wo Wissenschaftler aus allen Ländern der Welt mit den stärksten Teilchenbeschleunigern arbeiten, um die Eigenschaften der Elementarteilchen zu erforschen und die letzten Geheimnisse des Universums zu entschlüsseln.

Wer wissen möchte, was hier passiert, sollte unbedingt das Buch Bis(s) ins Innere des Protons von Boris Lemmer lesen. Denn hier erfahren wir alles über die Materie, aus der das Universum besteht und über den komplizierten Prozess ihrer Entdeckung und Erforschung.

Boris Lemmer ist Teilchenphysiker und erforscht als Doktorand die Eigenschaften der Top-Quarks. Einen Teil seiner Forschungszeit hat er am CERN verbracht. Hier steht auch der größte Teilchenbeschleuniger der Welt, der Large Hadron Collider LHC, mit dessen Hilfe im letzten Jahr nach langer Suche das Higgs-Boson nachgewiesen werden konnte. Diese Entdeckung ist so bedeutsam, dass der Brite Peter Higgs und der Belgier Francois Englert im Dezember den Nobelpreis für Physik 2013 für die Voraussage seiner Existenz erhalten. Nun ist das Standardmodell der Physik komplett und wir verstehen besser, woher die Teilchen ihre Masse erhalten.

In diesem Buch werden zunächst sämtliche Elementarteilchen von ihrer Entdeckung bis zu ihren Eigenschaften beschrieben. Denn zum Elektron, Neutron und Proton ist ja inzwischen ein ganzer Teilchenzoo hinzugekommen.

Wir erfahren eine Menge über die verschiedenen Generationen von Teilchenbeschleunigern am CERN. Ältere Modelle dienen als Vorbeschleuniger für die moderneren Ringbeschleuniger wie den LHC. Spannend ist auch die komplizierte Technik der Detektoren ATLAS und CMS, welche die Teilchenkollisionen aufzeichnen. Aus der gigantischen Datenfülle müssen die wirklich relevanten Ereignisse herausgepickt werden, um am Ende zum Beispiel das Higgs-Boson zu finden:

Als während der Suche nach dem Higgs-Teilchen im Sommer 2012 ein neues Teilchen gefunden wurde, hatten sich bis dahin 6 Millionen Milliarden Kollisionen im LHC ereignet. Hiervon wurden ungefähr je 5 Milliarden Kollisionen von ATLAS und CMS aufgezeichnet und ausgewertet. Und von diesen sind nur etwa 400 kompatibel mit dem Teilchen, das wie ein Higgs-Boson aussieht.

Am Ende der Lektüre verfügt ein gründlicher Leser außerdem über quantenmechanisches Grundwissen, Verständnis über die vier Grundkräfte, Kenntnis über Fachbegriffe wie Zeitdilatation, Wirkungsquerschnitt oder Luminosität sowie über die Bedeutung von Einsteins berühmter Formel e=mc².

Im Buch wurde nicht an mathematischen Formeln gespart, die für ein tieferes Verständnis der Teilchenphysik nötig sind. Um es den Lesern nicht zu schwer zu machen, wurden die kompliziertesten Formeln in graue “Schlauboxen” gepackt, die man überlesen darf. Die Lektüre erforderte dennoch meine volle Konzentration, manche Abschnitte habe ich nur quergelesen. Auch bei großzügiger Ausdehnung der Schlauboxen habe ich aber eine Menge mitbekommen. Witzige Zeichnungen und Analogien haben mich immer wieder zum Schmunzeln gebracht. Hier begegnen uns Biber beim Weitwurf, Affen auf Surfbrettern oder Enten im Honigteich.

Die Sprache des Autors ist eine Art Jugendslang, eher wörtliche Rede wie bei einer Schulstunde, angepasst an die Hauptzielgruppe, junge Leser, die für die Physik begeistert werden sollen – und werden! In diesem Buch geht es ähnlich rasant zu wie beim Science Slam, einer Disziplin, bei der Boris Lemmer schon etliche Wettbewerbe gewonnen hat. Dabei erklären Wissenschaftler einem Laienpublikum in kurzer Zeit auf möglichst originelle Weise ihr Forschungsgebiet. Hier ist ein Vortrag von 2011, der mir besonders viel Spaß gemacht hat:

 

Zum Glück ist das Buch aber viel ausführlicher. Didaktisch klug aufgebaut, bietet es eine Fülle von detaillierten Informationen für Leser, die es wirklich genau wissen wollen. Boris Lemmer schafft es auf lockere Art, seine Begeisterung für seine Arbeit rüberzubringen. Bei einer Fragestunde des Springer Spektrum Verlags auf Facebook am 23.10.2013 äußerte er sich so:

Jeder ab ca. 13 Jahren kann das Buch lesen und verstehen. Egal ob Physik-Freak oder nicht. Man muss nur von sich behaupten können, neugierig zu sein und immer ein bisschen mehr wissen zu wollen.

 

Ob das zutrifft, kann ich nicht beurteilen. Denn für mich war dieses Buch eine echte Herausforderung dank der vielen mathematischen Gleichungen, deren Gebrauch ich nicht mehr gewohnt bin. Aber ich habe mich durchgekämpft und eine Menge gelernt. Dabei haben mir die vielen Grafiken und Fotos sehr geholfen. Auch die Verwendung von QR-Codes fand ich sehr gelungen. Hinter diesen Codes verstecken sich u.a. eine Führung zu wichtigen Bereichen des CERN durch den Autor persönlich und Animationen zur Teilchenkollision.

Das Buch ist auch ein Appell an junge Leser: Wenn Ihr das hier versteht, dann werdet Teilchenphysiker und kommt ans CERN, denn was hier erforscht wird, ist cool! Man muss nur Interesse daran haben, Dinge immer weiter auseinander zu nehmen und bereit sein, für neue Erkenntnisse „bis ans Limit“ zu gehen.

Fazit: Obwohl ich es gar nicht sooo genau wissen wollte, bin ich begeistert von diesem Buch. Die tiefen Einblicke in die Arbeit am CERN sind faszinierend und ehrfurchtgebietend. Jemanden wie Boris Lemmer wünsche ich mir als Lehrer – dann ist Bildung nämlich kein Problem!

Boris Lemmer: Bis(s) ins Innere des Protons – Ein Science Slam durch die Welt der Elementarteilchen, der Beschleuniger und Supernerds
Springer Spektrum Verlag 2013, 316 Seiten
ISBN 978-3-642-37713-6
2. Auflage 2018:
ISBN 978-3-662-56747-0

 

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5 Kommentare

  1. Pingback:Gesehen: Planet Wissen – Existiert die Welt? | Alles außer Laufen

  2. Danke für die Rezension des Buches! ich bin auf Herrn Lemmer durch die Sendung Planet Wissen vom 4.12. aufmerksam geworden – es ging um das Thema “Existiert die Welt?” Die Sendung und Dein Artikel machen Lust auf das Buch!

    Liebe Grüsse,
    Wolfgang

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