Matt Haig: Ich und die Menschen

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Manchmal passen Dinge einfach gut zusammen. Kürzlich las ich die Biografie des Mathematikers Grigori Perelman, der eines der größten Rätsel der Mathematik geknackt hat, nämlich die Poincaré-Vermutung. Zur selben Zeit wurde ich auf einen neuen Roman aufmerksam, bei dem es ebenfalls um eines der bedeutendsten Rätsel der Mathematik geht, und zwar um die Riemannsche Vermutung. So ein Zusammentreffen hat Konsequenzen, es heißt für mich: Das interessiert mich jetzt auch.

Schon lange habe ich darüber nachgedacht, hier auch Romane mit wissenschaftlicher Komponente vorzustellen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen. Denn das neue Buch von Matt Haig hat mich außerordentlich gut unterhalten und es hat etwas mit Wissenschaft zu tun. Das möchte ich Euch auf keinen Fall vorenthalten.

In Matt Haigs Roman “Ich und die Menschen” wird ein Außerirdischer vom Planeten Vonnadoria auf die Erde geschickt, um den Mathematiker Prof. Andrew Martin zu beseitigen. Der hat soeben die Riemannsche Vermutung bewiesen, bei der es um die Geheimnisse der Primzahlen geht. Dies bedeutet eine Gefahr für das Volk der Vonnadorianer, eigentlich für das gesamte Universum. Die Menschen sind zwar nur „eine Lebensform von mittelmäßiger Intelligenz“, werden aber verachtet und gefürchtet wegen all ihrer negativen Eigenschaften: Gewalttätigkeit, Egoismus, Gier und Arroganz. Die Menschen müssen am Fortschritt gehindert werden, den der Beweis der Riemannschen Vermutung zwangsläufig nach sich zieht, vor allem der Aufbruch in entfernte Galaxien.

Der Außerirdische schlüpft also in den Körper des genialen Mathematikers Prof. Andrew Martin. Schnell muss er herausfinden, wer noch alles von der bahnbrechenden Entdeckung erfahren hat. Diese Menschen gilt es zu töten. Unsere Sprache erlernt er in wenigen Sekunden durch das Blättern in der Zeitschrift Cosmopolitan. Das ist zwar schnell, aber immer noch langsamer als das Schlucken von Wortkapseln, wie er es gewohnt ist. Missverständnisse sind jedenfalls vorprogrammiert.

Die naheliegenden Kandidaten für das gefährliche Wissen sind die Ehefrau Isobel und der Sohn des Professors, Gulliver, ein schwieriger Teenager. In diesem Haushalt ist der Hund Newton das einzige unkomplizierte Familienmitglied, denn die Beziehungen knistern vor Anspannung und unterdrückten Gefühlen. Andrew Martin ist offenbar ein von Ehrgeiz zerfressener Mensch, der als Familienvater und Ehemann völlig versagt hat. Damit entspricht er dem negativen Image, das die Vonnadorianer von den Menschen haben.

Je mehr er sich auf die Menschen einlässt, desto mehr beginnt der Außerirdische die Menschen als Individuen zu schätzen. Sein Ekel schwindet nach und nach. Völlig unerwartet lernt er Selbstlosigkeit und Liebe kennen, erfährt etwas über die Kraft von Musik und die wunderbare Lyrik von Emily Dickinson. Und damit wachsen auch die Zweifel an seiner Tod bringenden Mission. Mehr werde ich hier nicht verraten!

Ich stand vor der Wahl, dieses Buch zu lesen oder zu hören und habe mich für die Hörbuchversion entschieden. Das war ein Treffer, weil der Sprecher Christoph Maria Herbst diesen anfangs vor Logik triefenden Alien sehr glaubwürdig rüberbringt. Jeder Charakter bekommt seinen eigenen Tonfall. Immer wieder unheimlich sind die metallisch klingenden Einmischungen der außerirdischen Moderatoren, die absolut verständnislos auf die Neugier ihres Bruders auf die Menschen reagieren und ihm vorwerfen, er sei „angesteckt mit Gefühlen“. 3x hören war sicher noch nicht genug.

In diesem Buch werden Fragen berührt, die jeden angehen: Was macht uns menschlich? Ist der Verstand wichtiger oder das Gefühl? Nutzen wir unsere Fähigkeiten zum Guten oder zur Zerstörung? Ist Fortschritt ein Selbstzweck oder gibt es auch Wissen, das man lieber nicht anwenden sollte? Dieses Buch ist ein herrlich ironischer Blick auf die Stärken und Schwächen der Menschen, manchmal sentimental, manchmal tiefschürfend, voller wundervoller Sätze – ach, ich habs genossen! Als wissenschaftlich interessierter Mensch hatte ich viel Spaß am mathematisch-astronomischen Vokabular, das dezent in den Text eingesprengt wurde. Wissenschaftliches Interesse ist aber absolut keine Voraussetzung!

Wissenschaftsfaktor: ca. 17 %, knappe Informationen zur Riemannschen Vermutung und ihrer möglichen Konsequenzen; Prof. Martin diskutiert mit seinen Studenten die Drake-Gleichung, mit der sich berechnen lässt, wie viele außerirdische, intelligente Zivilisationen es geben müsste; und natürlich wimmelt es von Primzahlen.

Realitätsgehalt: unsicher: die Riemannsche Vermutung wurde bisher noch nicht bewiesen; aber wer weiß, vielleicht sind schon längst Aliens unter uns und beobachten argwöhnisch unsere Fortschritte.

Unterhaltungsfaktor: hoch, der Blick von außen auf uns primitive Erdlinge ist sehr erfrischend, humorvoll und weise zugleich.

Matt Haig: Ich und die Menschen
Aus dem Englischen von Sophie Zeitz
ISBN 978-3-423-26014-5 Buchausgabe dtv 2014
ISBN 978-3-8445-1403-2 Hörbuchausgabe Hörverlag 2014

Erhältlich bei der Buchhandlung meines Vertrauens

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4 Kommentare

  1. Danke für den Literaturtip, das hört sich sehr interessant an. Ich mag Romane mit einem wissenschaftlichen Hintergrund. Ich denke, ich werde mir aber doch das Buch kaufen – Christoph Maria Herbst hat sich mir zu sehr als “Stromberg” eingebrannt :-)

    Liebe Grüsse,
    Wolfgang

  2. Liebe Petra,
    was für ein lustiger Zufall, daß ich das Hörbuch auch kenne.
    Ich finde die Sprech – und Spielinterpretation von Christoph Maria Herbst sehr vielschichtig und stimmig und gar nicht “stromberglich” – schön, daß wir uns da einig sind.
    I
    Falls Du noch Lust auf meinen Rezensions-Senf dazu hast, folgt hier der Wink mit dem Link:
    https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/07/09/ich-und-die-menschen-horbuch/

    Irdische Grüße :-)
    Ulrike von Leselebenszeichen

  3. Vielen dank für den Buchtipp. Ich und die Menschen das überzeugt schon. Werde ich mir mal durchlesen.

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