Neil Shubin: Das Universum in dir – Eine etwas andere Naturgeschichte

Cover Shubin Universum in dir

© S. Fischer

Wir sind Sternenstaub! Unser Körper besteht aus Elementen, die vor Milliarden Jahren kurz nach dem Urknall entstanden sind. Unsere Gene, die Knochen, selbst unser Lebensrhythmus, tragen Spuren der langen Geschichte unseres Universums in sich. Der Paläontologe Neil Shubin erzählt in seinem neuen Buch Das Universum in dir von diesen faszinierenden Zusammenhängen.

In seinem erfolgreichen ersten Buch Der Fisch in uns konnten wir vieles über die Spuren die Evolution im menschlichen Körper und unsere enge genetische Verwandtschaft mit den Tieren erfahren. Darin erzählt Shubin auch von seiner bedeutsamen Entdeckung des Knochenfisches Tiktaalik, einem Bindeglied zwischen den Fischen und den Landwirbeltieren. Solche Fossilienfunde sind der Traum eines jeden Paläontologen, denn sie helfen viele offene Fragen zu beantworten und schließen Lücken in den Beweisketten.

Bei seiner Arbeit wird Neil Shubin immer wieder mit der Frage nach dem Ursprung allen Lebens konfrontiert. Versteinerte Tiere und Pflanzen verweisen in die Vergangenheit und in die Zukunft und sagen auch etwas über die Entwicklung der Menschen aus, denn:

Gestein und Körper sind eine Art Zeitkapsel: Sie tragen die Spuren großer Ereignisse, durch die sie geformt wurden, in sich. Die Moleküle, aus denen sich unser Körper zusammensetzt, entstanden bei längst vergangenen kosmischen Ereignissen zu Beginn unseres Sonnensystems. Veränderungen in  der Erdatmosphäre formten unsere Zellen und unseren gesamten Stoffwechselapparat. Wellen der Entstehung von Gebirgen, Veränderungen der Planetenlaufbahnen und Umwälzungen auf der Erde selbst hatten Auswirkungen auf unseren Körper, unseren Geist und die Art, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen.

Seit dem Urknall trugen viele Faktoren zur Entstehung einfachster einzelliger Lebensformen bis hin zu komplexen Lebewesen wie uns Menschen bei. Shubin erzählt in chronologischer Reihenfolge von diesem Prozess. Kurz nach dem Urknall entstand bereits der leichte Wasserstoff. Die schwereren chemischen Elemente wie Kohlenstoff, Sauerstoff und die Metalle sind erst später durch Fusionsprozesse und explodierende Supernovae hinzu gekommen. Viele dieser Elemente haben sich zu komplexeren Molekülen verbunden und sind auch die Bausteine des menschlichen Körpers. Das Universum steckt also wirklich in jedem von uns!

Aus Materie ballten sich Planeten zusammen und bildeten ganze Galaxien. In einer davon, der Milchstraße, befindet sich unser Sonnensystem. Spannend erzählt Shubin von den Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Planeten unseres Sonnensystems, vom perfekten Abstand der Erde zur Sonne und dem Bombardement aus dem Weltall, mit dem das Wasser auf die Erde kam. Für unsere Existenz ist das eine der wichtigsten Zutaten, denn mehr als die Hälfte unseres Körpers besteht ja aus Wasser. Ohne Wasser hätte sich auf diesem Planeten kein Leben entwickelt.

Durch den Einschlag eines Asteroiden auf der Erde konnte auch der Mond entstehen. Er hat die Rotation der Erde auf ein dem Leben zuträgliches Maß reduziert und zusammen mit den anderen Planeten dafür gesorgt, dass unser Tag eine Länge von 24 Stunden hat und das Jahr nur noch 365 statt 400 Tage. Dieser Rhythmus ist tief in unserem Körper verankert und konnte z.B. in Höhlenexperimenten nachgewiesen werden.

Komplexere Lebensformen bildeten sich erst, als Algen durch Photosynthese genügend Sauerstoff produziert hatten. Die Zusammenhänge zwischen dem Sauerstoffkreislauf, der zunehmenden Größe der Organismen und den unterschiedlichen Auswirkungen der Schwerkraft auf große oder kleine Lebewesen habe ich begeistert gelesen. So ist z.B. ein Flusspferd im Gegensatz zu einem Insekt nicht in der Lage, eine Wand hochzuklettern – und natürlich auch kein Mensch. Wir sind einfach zu schwer.

Besonders spannend waren für mich die geologisch dominierten Kapitel, da ich erst kürzlich ein hervorragendes Buch von Richard Fortey über die Erdgeschichte gelesen habe. Da Shubin andere Schwerpunkte setzt, ergänzen sich die beiden Bücher sehr gut. Wichtig sind natürlich auch bei Shubin die Plattentektonik, welche zur Erhöhung des Sauerstoffgehalts beitrug, oder die Milankovic-Zyklen, welche für regelmäßige Klimaschwankungen und die Eiszeiten verantwortlich sind. Diese ständigen geologischen Veränderungen waren eine Herausforderung, der nicht alle Lebensformen gewachsen waren. Aus den besser angepassten Lebewesen konnte sich schließlich auch der Homo sapiens entwickeln.

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Es gab in diesem Buch viele faszinierende Details, interessante Zusammenhänge und Geschichten aus der Welt der Forschung zu entdecken. Am stärksten ist Shubin, wenn er von seiner Feldarbeit als Paläontologe erzählt. Die Probleme bei der Suche nach Fossilien in Grönland, die Datierung von Gesteinen, die Interpretation der Funde, all das wird lebendig geschildert. In diesem Zusammenhang erzählt Shubin von einem 40 Millionen Jahre alten versteinerten Wald in der Arktis, wo früher Mammutbäume wuchsen! Auch die Abschnitte über die Erkenntnisse einzelner Forscher und die schrittweise Weiterentwicklung ihrer Ideen haben mir sehr gut gefallen.

Am Ende blicke ich dennoch etwas enttäuscht auf die Lektüre zurück, denn ich hatte dieses Buch mit zu großen Erwartungen begonnen. Vor allem die Leseprobe hatte mein Interesse geweckt, wie ich bereits hier im Blog berichtet habe. Beim Lesen habe ich mich aber oft über schwammige Formulierungen geärgert oder die passenden Fachbegriffe vermisst (s. auch die ansonsten positive Rezension der Biologin Bettina Wurche in ihrem Blog Meertext).

Shubin erwähnt z.B. genetische Experimente mit Fliegen, meint aber die Fruchtfliege bzw. Taufliege Drosophila melanogaster, die Schülern aus dem Biologieunterricht der Oberstufe (zumindest in Deutschland) bekannt sein dürfte. Als er die wichtige Mission eines Satelliten aus den 80er Jahren ausführlich beschreibt, fehlt dessen Name IRAS. Geologische Begriffe wie Stratigrafie, Allometrie oder Leitfossil werden mit anderen Formulierungen umschrieben. Solche Genauigkeit ist doch kein zusätzlicher Aufwand und würden die Leser nicht überfordern! Viele interessante und relevante Informationen waren sogar in den Anmerkungen versteckt. Dort habe ich oft geprüft, ob er das meinte, was ich vermutete – das war sehr lästig!

In den Anmerkungen finden sich übrigens jede Menge Hinweise auf weiterführende Literatur! Es lohnt sich also, in diesem Fall auch die Anmerkungen zu lesen. Im Register findet man immerhin die meisten Namen und Begriffe mit Seitenverweisen wieder (bis auf Milankovic und den nach ihm benannten Milankovic-Zyklus. Das ist aber wohl eher ein Versehen des Verlags und nicht des Autors).

Aber genug gemeckert. Ich habe ja auch viel positives zu diesem Buch genannt. Wer noch nicht so viel über Astronomie oder Naturgeschichte gelesen hat, kann hier sehr viel lernen. Es ist daher auch für junge Leser geeignet. Durch die lockere Mischung aus Biologie, Geologie, Chemie, Physik und Astronomie werden faszinierende Zusammenhänge deutlich. Dem Autor ist ein sehr lehrreiches, unterhaltsames und spannendes Sachbuch gelungen, aber der große Wurf ist es aus meiner Sicht nicht.

Eine schöne Rezension findet sich im Meertext-Blog der Biologin Bettina Wurche.

Neil Shubin: Das Universum in dir – Eine etwas andere Naturgeschichte
Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel
S. Fischer Verlag 2014
ISBN 978-3-10-072005-4
Leseprobe

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7 Kommentare

  1. … ein must have für mich!! :-) danke für die lange Rezi!

  2. uiiii… bis zum urknall zurück zu gehen, ist natürlich schon weit ausgeholt… und daß wir aus sternenstaub sind, ist so ganz neu ja auch nicht.. ansonsten kritisierst du dinge, die mir auch oft auffallen wie die unnötige Simplifizierung von Sachverhalten (die aber u.U. auch auf die übersetzung zurück zu führen sind…). es ist eben die hohe kunst populärwissenschaftlicher bücher, verständlich zu schreiben, ohne daß sich fehler einschleichen – und seien es auch nur “kleine…”

    btw: da du anscheinend ja erdgeschichtlich interessiert bist, verfolgst du auch die debatte über die ausrufung des “anthropozäns”, welches ja dann wohl das holozän, in dem der mensch ja bekanntlich erschien, ablösen soll….?

    lg
    fs

    • Lieber Gerd,
      trotz meiner Kritik denke ich, dass dieses Buch vielen Lesern sehr gut gefallen wird. Es kann neue Sichtweisen erschließen, weil es viele Disziplinen miteinander verbindet und ganz locker Grundlagenwissen vermittelt. Vielleicht weckt es auch bei anderen so wie bei mir den Wunsch, einzelne Aspekte nachzuschlagen und zu vertiefen.
      Zum Thema Anthropozän: die Debatte finde ich sehr spannend. Die Befürworter sind sich ja noch nicht einig, ab wann genau diese Epoche begonnen haben soll. Aber durch das Auftauchen der Menschen hat der Planet so viele Umwälzungen erlebt, die sich auch in Millionen von Jahren noch nachweisen lassen, dass der Begriff berechtigt scheint (Massenaussterben, Ablagerungen von Blei, Glas, Plastik oder radioaktiver Fallout in den Sedimentschichten, Bergbau, Klima …).
      Zufällig habe ich gerade diesen Spiegel-Artikel dazu gefunden.
      Das hier verlinkte Buch von Zalasiewicz setzt sich auch mit dem Thema auseinander.
      Liebe Grüße,
      Petra

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