Die Corona-Pandemie trifft uns alle. Eine globale Krise, die viele Todesopfer fordert und deren Ausgang ungewiss ist. Viele erleben zur Zeit Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit, finanzielle Einbußen, eine kompliziertere Arbeitswelt und die schmerzhafte Beschneidung sozialer Kontakte. Das alles, um die Anzahl der Infektionen mit Covid-19 möglichst gering zu halten. Was macht das mit uns? Wie verliefen Pandemien in der Geschichte der Menschheit? Und wie könnte die Zukunft nach der Epidemie aussehen? Antworten bietet die Anthologie Corona und wir – Denkanstöße für eine veränderte Welt, die der Penguin Verlag soeben herausgegeben hat – mit 29 Texten, die nicht nur Deutschland, sondern auch globale Entwicklungen betreffen. Um eine Vorstellung von der thematischen Bandbreite zu geben, habe ich einige Texte herausgefischt und stelle zentrale Gedanken daraus knapp vor.
Lehren aus der Vergangenheit
Der Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht blickt zurück in die Geschichte der Seuchen, in der Bevölkerungen aufgrund mangelnder Immunität mehrfach drastisch dezimiert wurden – ein „demographischer Kollaps“, von dem sich die betroffenen Gesellschaften nur schwer erholten.
Pandemien sind der Preis der Globalisierung und somit unvermeidlich, schreibt der Historiker Ian Morris in seinem historischen Rückblick, daher gilt: „Abstand oder Tod“, bis eine Impfung oder Heilung möglich ist.
Der Wissenschaftsjournalist David Quammen macht deutlich, dass die Corona-Pandemie, ebenso wie frühere Corona-Ausbrüche, auf den Wildtierhandel und unseren Umgang mit der Natur zurückzuführen sind.
Alltagsbewältigung – Im Hier und Jetzt
Schriftstellerin Ulrike Draesner bezeichnet sich als „Spezialistin in Soloarbeit“. Doch momentan kombiniert sie Homeoffice und Homeschooling für einen Teenager. Ihr fehlen die gewohnten Cafébesuche und die „Fütterung mit Menschenstoff“.
Eindringlich und berührend ist der Text der Philosophin und Publizistin Thea Dorn, die sich mit dem einsamen Sterben alter und kranker Menschen beschäftigt.
Der Psychologe Gerd Gigerenzer erklärt, warum wir bei Schockereignissen wie der gegenwärtigen Pandemie mehr Risikokompetenz brauchen.
Soziale Schmerzen: der Neurobiologe Martin Korte setzt sich mit den Auswirkungen von Angst und Einsamkeit auseinander.
Bestsellerautor François Lelord verpackt unsere aktuelle Situation in ein Märchen, in dem ein Schuppentier, eine Fledermaus und eine Katze das selbstzerstörerische und widersprüchliche Verhalten der Menschen kritisch kommentieren.
Kritik an der Politik – Gefahr für die Freiheit
Die Journalisten Jacob Augstein und Nikolaus Blome diskutieren miteinander, ob die Maßnahmen im Lockdown zu krass sind oder gerade richtig.
Die Historikerin Anne Applebaum beobachtet die Situation aus Polen. Sie ist besorgt über die Beschneidung der bürgerlichen Rechte. Können wir sicher sein, dass alle Maßnahmen zurückgenommen werden?
Für China-Expertin Mareike Ohlberg ist die aktuelle Lage auch eine politische Krise. Sie geht hart ins Gericht mit der Behauptung, dass China alles richtig gemacht habe. Ihr chronologischer Rückblick belegt das Gegenteil: staatliche Zensur, Manipulation der Daten und eine systematische Verzerrung der Wahrheit bis hin zu abstrusen Verschwörungstheorien über den Ursprung der Pandemie. Sie moniert außerdem die Fehler der WHO im Umgang mit China.
Der Grünen-Politiker und Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer beklagt die angebliche Alternativlosigkeit staatlicher Maßnahmen. Er plädiert dafür, Menschen aus Risikogruppen abzuschirmen.
Reinhard K. Sprenger, Management-Autor und Berater, übt Kritik am politischen Führungspersonal. Er behauptet, dass die Politik abgedankt habe und zur Zeit Virologen die Welt regieren. Seiner Meinung nach gilt „der universalisierte Wissenschaftsglaube als der größte Freiheitsvertilger“.
Wie sieht unsere Welt nach der Pandemie aus?
Der Zukunftsforscher Matthias Horx wirft einen optimistischen Blick zurück – eine „Re-Gnose“ aus der nahen Zukunft, bei der unser innerer Wandel und die Lehren, die wir gezogen haben, schon einbezogen sind.
Bas Kast, Wissenschaftsautor und Vater von drei Söhnen, genießt die Nähe zur Familie im Homeoffice. Diese Zeit lehrt ihn, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Wollen wir danach einfach weitermachen mit „Wohlstandsstress, Klimasünden, Ausbeutung der Tiere“? Kast hat nicht die Absicht, in die alten Routinen unserer Turbogesellschaft zurückzufallen.
Der Wissenschaftsjournalist Peter Spork erwartet eine Trendwende in der Medizin durch die Corona-Krise: weg von einer monokausalen Betrachtung und Fixierung auf die Symptome von Krankheiten – hin zu einem „Denken in komplexen biologischen Netzwerken“, mit tieferer Ursachenforschung, die eine bessere Prävention ermöglicht. Die Biomedizin kann hier Bahnbrechendes leisten.
Der israelische Historiker Yuval Noah Harari kritisiert die staatliche Überwachung während der Krise, besonders ausgeprägt in China. Doch auch in anderen Ländern werden zum Beispiel biometrische Daten zur Eindämmung der Pandemie gesammelt. Harari sieht die Demokratie und unsere Privatsphäre in Gefahr. Die wirtschaftlichen Probleme, die nun folgen, können nur durch globale Solidarität gelöst werden, fordert er.
Das war eine kleine Auswahl aus dem gesamten Spektrum. Corona und wir ist eine bunte Mischung aus Essays, Alltagsimpressionen und politischen Statements. Einige AutorInnen betonen die Chancen, andere die Risiken durch die Corona-Krise. Manche Positionen bieten Konfliktstoff und regen zum Widerspruch an, in anderen kann man sich selbst wiedererkennen. Die Auseinandersetzung lohnt sich!
Mit Beiträgen von Anne Applebaum, Jakob Augstein, Abhijit V. Banerjee, Nikolaus Blome, Luca d’Andrea, Thea Dorn, Ulrike Draesner, Esther Duflo, Gerd Gigerenzer, Matthias Glaubrecht, Stephen Greenblatt, Dana Grigorcea, Annett Gröschner, Yuval Noah Harari, Matthias Horx, Philipp Hübl, Bas Kast, Martin Korte, François Lelord, Geert Mak, Annette Mingels, Ian Morris, Mareike Ohlberg, Boris Palmer, David Quammen, Richard C. Schneider, Martin Schröder, Frank Sieren, Mark Spitznagel, Peter Spork, Reinhard K. Sprenger, Nassim Nicholas Taleb.
Corona und wir – Denkanstöße für eine veränderte Welt
Hrsg. Penguin Verlag
Penguin Verlag 2020, ca. 260 Seiten
E-Book 978-3-641-27123-7, € 9,99
Leseprobe
Die Erlöse aus dem Verkauf dieser Anthologie gehen an das Sozialwerk des deutschen Buchhandels.
#buylocal #supportyourlocalbookstore
Liebe Petra,
vielen Dank für diese „Denkanstösse“, sehr interessant, wie die Essayisten unterschiedlich an das Thema herangehen, vom Märchen über die Politikkritik zur Zukunftsforschung. Sehr gute Idee, diese Anthologie!
Beste Grüße
Dagmar
Mir gefiel diese Zusammenstellung auch sehr gut, liebe Dagmar! Auch wenn einige Sichtweisen extrem zynisch sind!
Schau mal, das wusste ich gar nicht, dass die Erlöse gespendet werden. Das freut mich!
Solltest du dich gewundert haben, dass aus Mexiko niemand mehr in deinen Blog schaut — ich sitze wegen Corona in Deutschland fest.
Liebe Grüße aus der Rhön!
Ja, die Spenden aus dem Verkauf kann der arg gebeutelte Buchhandel sicher gut gebrauchen.
Aber was für ein Pech, dass du hier festsitzt – ich drücke dir die Daumen, dass du bald nach Mexiko heimkehren kannst!
Liebe Grüße aus der Pfalz!