Sind Pflanzen empfindungsfähig? Haben sie ein Bewusstsein? Sind sie gar intelligent? Die Wissenschaftsjournalistin Zoë Schlanger begann während einer Sinnkrise, sich mit aktuellen Forschungen über Pflanzen zu beschäftigen – und stieß auf faszinierende Erkenntnisse. In ihrem Buch Die Lichtwandler lässt sie uns an ihrer Suche nach dem neuesten Pflanzenwissen teilhaben.
Suche nach dem neuesten Pflanzenwissen
Pflanzen verwandeln Licht in Zucker und Sauerstoff – damit sind sie die Basis allen irdischen Lebens. Und doch werden Pflanzen unterschätzt! In ihrem Buch berichtet Zoë Schlanger, wie ihre Bewunderung für die Pflanzenwelt wuchs, je mehr sie über sie erfuhr.
Ausgangspunkt war eine Studie zum entschlüsselten Genom eines Algenfarns. Dieser Farn besitzt die Fähigkeit, große Mengen an CO2 zu binden und trug vor 50 Millionen Jahren zur Abkühlung der Erde bei. Die vormalige Umweltreporterin war elektrisiert und entwickelte sich zu einer „wahrhaft Besessenen“, die alles über Farne und andere Pflanzen in sich aufsog. Sie kniete sich in brandneue Studien über die Kommunikation von Pflanzen, über ihre Wahrnehmungen, die Reaktionen auf akustische Signale, über die Frage nach dem Pflanzengedächtnis und ihr Sozialverhalten. Sie interviewte zahlreiche Fachleute und besuchte Forschende bei der Feldarbeit und im Labor. Für jedes Thema bringt sie im Buch faszinierende Beispiele, macht aber auch klar, wie kontrovers einige Aspekte in der Forschungscommunity diskutiert werden. Vor allem der Begriff Intelligenz ist für viele ein rotes Tuch.
Fähigkeiten der Pflanzen
Da Pflanzen sich nicht fortbewegen können, sind sie Meister der Anpassung an ihre Lebensräume. Sie kommunizieren über die Wurzeln und mithilfe von Pheromonen. Pflanzen stellen komplexe chemische Verbindungen her und sind anderen Lebensformen darin weit überlegen. Wenn Fressfeinde sie anknabbern, rufen sie Hilfe herbei oder produzieren bittere Abwehrstoffe. Sie warnen ihre Nachbarn vor Raupen – aber dabei sind sie wählerisch und bevorzugen Verwandte. Schlanger berichtet von zahlreichen Belegen für das Sozialverhalten von Pflanzen, die geradezu rücksichtsvoll mit den Ressourcen Licht und Wasser umgingen – für das Wohl anderer.
Viele Pflanzen reagieren empfindlich auf häufige Berührungen – sie können dann ihre Wuchsrichtung ändern oder ihr Blattwerk verstärken. Thigmomorphogenese heißt dieses Verhalten. Es wurde zum Beispiel bei Nutzpflanzen wie Tomaten und Wachsbohnen beobachtet – so härten sie sich ab und verbessern ihr Abwehrsystem. Schlanger traf einen Forscher, der Pflanzen als „sensible Organismen“ bezeichnete, die wissen, dass sie gefressen werden. Pflanzen reagieren auch auf Geräusche – und können selbst welche produzieren, um Bestäuber anzulocken. Die Phytoakustik steckt noch in den Kinderschuhen, hat aber schon Beeindruckendes herausgefunden!
Während einer Expedition im chilenischen Regenwald stieß Schlanger auf die Kletterpflanze Boquila Trifoliolata, die benachbarte Pflanzen spontan imitiert. Mit dieser Mimikry schützt sie sich offenbar vor Fressfeinden. Wie macht sie das? Und warum kann sie auch Plastikpflanzen im Labor nachahmen? Existiert etwa eine Art Sehsinn? Solche komplexen Fragen werden heute mit ausgeklügelten Methoden erforscht.
Sind Pflanzen intelligent? Pflanzenforschung im Wandel
Vieles im Verhalten von Pflanzen belegt ihre fantastischen Überlebensstrategien: von der erfolgreichen Suche nach Nährstoffen in Luft und Boden über den Einsatz von Helfern gegen Fressfeinde bis zu Handlungen, die auf ein pflanzliches Gedächtnis schließen lassen. Forschende, die dies als intelligent bezeichnen, gefährden noch immer ihre berufliche Existenz, denn es widerspricht dem herrschenden Paradigma. Intelligenz ohne Gehirn geht gar nicht! Schlanger hat vor allem den Eiertanz um anthropozentrische, also auf den Menschen bezogene Begriffe in der Pflanzenforschung in ihren Interviews miterlebt. Doch sie traf auch Botanikerinnen und Botaniker, die für einen Paradigmenwechsel stehen. Dazu zählt etwa eine Forschergruppe, die den Begriff Pflanzenneurobiologie verwendet. Stefano Mancuso, dessen Buch Die Intelligenz der Pflanzen ich hier im Blog empfohlen habe, war Gründungsmitglied dieser Gruppe.
Neue Weltsicht
Am Ende ihrer Recherchen hat die Autorin eine neue Sicht auf die Welt gewonnen. Und genau das vermittelt sie uns mit ihrem Buch Die Lichtwandler. Ich habe Faszinierendes über die zahlreichen Fähigkeiten von Pflanzen erfahren. Ein begeisterndes, augenöffnendes Buch! Wer sich über den neuesten Stand botanischer Forschungen informieren will, ist hier richtig.
Zoë Schlanger: Die Lichtwandler – Wie Pflanzen uns das Leben schenken
Originaltitel: The Light Eaters. How the Unseen World of Plant Intelligence Offers a New Understanding of Life on Earth
Aus dem Englischen übersetzt von Laura Su Bischoff, Michael Bischoff
S. Fischer Verlag 2024, 448 Seiten
ISBN 978-3-10-397660-1
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