Stefano Mancuso/Alessandra Viola: Die Intelligenz der Pflanzen

Cover Mancuso Intelligenz der Pflanzen

© Kunstmann

Pflanzen können sich nicht vom Fleck weg bewegen. Sie verfügen über kein Gehirn, keine Nervenzellen und keine Sinnesorgane, wie wir Menschen sie kennen. Sie gelten als passive Lebensformen, die im wahrsten Sinne des Wortes dahinvegetieren und über keinerlei Empfindungen verfügen. Und doch sind viele Botaniker überzeugt, dass Pflanzen über Intelligenz verfügen.

Was macht Intelligenz aus? Zu den wichtigsten Merkmalen zählen die Fähigkeit, Probleme zu lösen, die Fähigkeit zu sozialem Verhalten und die Anpassungsfähigkeit an wechselnde Umweltbedingungen. Wenn man diese Kriterien anlegt, müssen wir den Pflanzen intelligentes Verhalten zugestehen?

In diesem erfrischend geschriebenen Buch wird der Beweis dafür angetreten. Stefano Mancuso, Professor an der Universität Florenz, ist Spezialist für die Neurobiologie der Pflanzen. Zusammen mit der Wissenschaftsjournalistin Alessandra Viola hat er viele Studien und Literatur zum Thema ausgewertet und die Ergebnisse seiner jahrelangen Forschung im Buch Die Intelligenz der Pflanzen zusammengetragen.

Wir lernen Pflanzen von einer ungewohnten Seite kennen: variantenreiches Kommunikationsverhalten, ausgefeilte Jagdmethoden, ressourcenschonender Umgang mit Energie, clevere Manipulation von Nützlingen und eine mit dem Internet vergleichbare Schwarmintelligenz.

Pflanzen machen den größten Teil der Biomasse der Erde aus. Sie haben also im Laufe der Evolution sehr viel richtig gemacht, um sich so stark ausbreiten zu können, und das ohne die Möglichkeit zur Fortbewegung. Ein wichtiger Aspekt für ihren Erfolg ist laut Stefano Mancuso ihr modularer Körperbau. Das bedeutet, dass sie auch beim Verlust von mehreren Modulen, z.B. Ästen oder Blüten, weiter existieren und sich regenerieren können. Die Aufgaben der Pflanzen sind nicht, wie bei Menschen und Tieren, in bestimmten Organen konzentriert, sondern über den gesamten Organismus verteilt. Das erhöht ihre Überlebenschancen ungemein.

Zur sinnlichen Wahrnehmung der Umwelt verfügen Pflanzen über eine Fülle von Möglichkeiten. Während Menschen mit fünf Sinnen auskommen müssen, besitzen Pflanzen sogar zwanzig Sinne! Fotorezeptoren helfen ihnen, sich dem Licht zuzuwenden, um Fotosynthese zu betreiben. Dank des Gravitropismus können sie der Schwerkraft entsprechend die Wuchsrichtung von Wurzeln und Blättern optimieren. Chemische Rezeptoren helfen bei der Feuchtigkeitsmessung des Bodens. Ihr raffiniertes Wurzelwerk versetzt sie in die Lage, Wasser und Nährstoffe aufzuspüren und Schadstoffen auszuweichen – das ersetzt ein ganzes Chemielabor! Auch ohne Gehör können Pflanzen Schwingungen wahrnehmen und auf unterschiedliche Frequenzen reagieren. Wenn ein Fressfeind im Anmarsch ist, sondern sie Bitterstoffe ab – eine effiziente Verteidigungsstrategie.

Auch zur Kommunikation bietet dieses Buch zahlreiche Beispiele. Pflanzen kommunizieren auf verschiedenen Wegen, innerhalb der Pflanzen z.B. über chemische, elektrische und hydraulische Signale. Sie können sich mit benachbarten Pflanzen mithilfe chemischer Moleküle verständigen. Bei Gefahr können sie Hilfe von tierischen Verteidigern “herbeirufen” und andere Pflanzen warnen. Dazu setzen sie variable Duftstoffe ein.

Mit Pilzen oder Tieren gehen sie Partnerschaften, Symbiosen, ein, um gemeinsam besser zu überleben. Solche Partner werden vorher gründlich auf ihre Eignung überprüft. Kommunikation ist auch Manipulation. Pflanzen können andere Lebewesen durch prachtvolle Blüten und Früchte anlocken und damit erreichen, dass ihre Pollen und Samen weitergetragen werden.

Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, denn viele Mechanismen sind noch nicht gut genug erforscht. Also, Pflanzen verfügen über …

Problemlösungsfähigkeit: check!

Soziales Verhalten: check!

Anpassungsfähigkeit: check!

Intelligenz: check!

Stefano Mancuso plädiert für eine Neubewertung pflanzlicher Fähigkeiten und eine Erweiterung des Intelligenzbegriffs. Die pflanzliche Intelligenz ist für ihn eine Netzwerk- oder Schwarmintelligenz, wie sie auch bei Insekten vorkommt. Wir können viel von ihnen lernen, sogar für die Begegnung mit außerirdischer Intelligenz!

Weil Pflanzen langsamer reagieren als wir und keine spezifischen Organe besitzen, fällt es uns schwer, ihre Intelligenz zu erkennen. Wie soll es uns da erst mit Wesen gehen, die Lichtjahre von uns entfernt leben? Gerade weil pflanzliche Organismen so anders sind als wir und uns gleichzeitig physisch und genetisch so nahestehen, könnten sie uns in der Intelligenzforschung als wichtiges Modell dienen und uns darin bestärken, unsere Methoden und Instrumente von außerirdischer Intelligenz zu überdenken.

Ein interessanter Gedanke! Also müssen wir zur Vorbereitung noch einiges tun. Ein guter Anfang wäre es, zumindest die Pflanzen auf unserem Planeten besser zu verstehen, denn unser Überleben ist an sie als Nahrungsquelle und Energieträger gekoppelt. Aber Pflanzen können auch als Inspiration für die Robotertechnik dienen, der Medizin und Landwirtschaft neue Wege aufzeigen und unserer Umwelt nützen. Auch auf diese Aspekte gehen die Autoren ein und liefern Denkanstöße.

Stefano Mancuso und Alessandra Viola haben dieses Werk mit einer Leidenschaft verfasst, die ansteckt. Es ist für alle naturinteressierten Leser und ohne botanische Vorkenntnisse zu genießen. Zur Veranschaulichung dienen wunderschöne Farbtafeln und zahlreiche Abbildungen. Ich bin absolut begeistert, denn dieses  Buch schenkt mir eine neue Perspektive auf die Pflanzenwelt!

Weiterführende Links:
Interview Stefano Mancuso mit Arno Widmann
TED Talk

Stefano Mancuso/ Alessandra Viola: Die Intelligenz der Pflanzen
Aus dem Italienischen von Christine Ammann
Kunstmann Verlag 2015, 168 Seiten
ISBN 978-3-95614-030-3
Leseprobe

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23 Kommentare

  1. Klasse,,,auch der Beitrag spricht von angesteckter und ansteckender Leidenschaft :-) Und ich freue mich schon sehr auf einen Beitrag zu Deiner aktuellen Lektüre. Mit dem Herrn habe ich ein paar Dinge gemeinsam. Die Relativitätstheorie habe ich jedoch noch nicht verstanden. Da hoffe ich auf Deine Erklärungskunst :-)

    • Ich bin hier wirklich begeistert durch die Seiten gefegt!
      Und Einsteins Relativitätstheorie, tja mal sehen, was sich machen lässt ;-) Was du wohl mit dem gemeinsam hast?

      • Das merkt man!
        Und das steckt an!

        und Einstein…tja:

        Haare, langjähriger Wohnort, selbstverständlich die Intelligenz, den 14.3., Ulm und um Ulm, den schwäbischen Dialekt, das Temperament, einige Wurzeln, einige wönzige charakterliche Mängel, etc. :-)

  2. die tolle Beschreibung weckt pure Leselust.

  3. Dann wünsche ich dir viel Spaß damit :-)

  4. Diese Gedanken werden Vegetarieren und Veganerinnen gar nicht gefallen….

    • Ja, das habe ich mich auch gefragt. Zumindest sind sich vegan und vegetarisch lebende Menschen mit Botanikern einig, dass Pflanzen kein Schmerzempfinden haben und dass sie daher als Nahrungsmittel geeignet sind: http://vegane-lebensweise.org/ethik/konnen-pflanzen-leiden/

      • Hmm, hat ein wenig gedauert…. Zit.: “Bei Gefahr können sie Hilfe von tierischen Verteidigern “herbeirufen” und andere Pflanzen warnen. Dazu setzen sie variable Duftstoffe ein.” Das hat in mir gearbeitet…. “Gefahr” als unspezifische zukünftige Bedrohung wird hier nicht gemeint sein, oder? Eher ein Blattlausbefall, Würmer n den Wurzeln oder ein eben ein Messer am Salatstrunk oder so…. Solches erfordert aber Missempfinden, Unbehagen oder eben: Schmerz! Sonst macht das keinen Sinn… Insofern ist die Aussage de Veganer gleichwertig wie die Ansicht der mittelalterlichen Kirche oder des aktuellen Innungsblättchen der Metzger zu werten: Nicht schlüssig.
        (Grund der späten Replik, ist die Zufälligkeit, dass mir das Buch in die Hand fiel und ich ein wenig geschmökert habe….) Gute Zeit aus dem Nordbadischen..

  5. Liebe Petra,
    Bloggen bildet – jedenfalls wenn man auf Deiner Webseite landet.
    Deine differenzierten und begeisterten Buchbesprechungen sind eine echte Bereicherung, z.B. war ich mir, vor der Lektüre Deiner Rezension, der Implikationen des modularen Körperbaus gar nicht bewußt, obwohl es ja vollkommen logisch ist…

    Darf ich Dir als ZUGABE den Link zu meiner Rezension eines ähnlichen Pflanzenbuches hierlassen?

    https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/06/11/was-pflanzen-wissen/

    Frühlingsfrische Grüße
    Ulrike von Leselebenszeichen

    • Liebe Ulrike,
      ich bin sehr angetan von deiner ausführlichen Rezension des Buches von Daniel Chamovitz. Vor allem diese Vergleiche mit den menschlichen Fähigkeiten finde ich faszinierend! Ich hatte das Buch schon mehrmals in Händen, war mir aber nicht sicher, ob es das richtige ist. Jetzt weiß ich es und habe es gleich auf meine Wunschliste gesetzt!
      Herzliche Grüße,
      Petra

      • Liebe Petra,
        herzlichen DANK für die “Blumen” …
        Es freut mich, daß ich Dir “Was Pflanzen wissen” schmackhaft machen konnte.
        Ich habe mich nun endlich auch bei Dir als Leseverfolgerin eingetragen – das war überfällig.

        Auf Wiederlesen!
        Ulrike

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