Johann Brandstetter: Über Leben

Netzwerke der Natur: sie stehen im Mittelpunkt der Werke von Johann Brandstetter, dem preisgekrönten Künstler und Illustrator aus dem bayrischen Neuötting. Der Bildband Über Leben – Die Wiederentdeckung der Natur zeigt einen Querschnitt durch sein Werk aus mehreren Jahrzehnten.

Neben Motiven aus der Natur Europas, zum Beispiel schillernden Rosenkäfern, Nachtfaltern, Feldhasen und Wildschweinen, finden sich betörende Szenen aus Afrika und vor allem aus den Regenwäldern Lateinamerikas: Prachtbienen, die eine gelbe Orchideenblüte umschwirren, ein baumelndes Faultier, Rinder, die über eine staubige Ebene in Brasilien galoppieren. Brandstetter erweckt den bereits ausgestorbenen Dodo zum Leben und führt in einen geheimnisvollen Wald aus dem Zeitalter des Karbon.

Ich bewundere seine Arbeiten, seit ich das Buch Symbiosen las, das er zusammen mit dem Biologen Josef H. Reichholf publiziert hat. Auch die hinreißenden Illustrationen zum Essay Magie des Staunens von Rachel Carson stammen von ihm. In diesem Bildband habe ich neben vertrauten Motiven zahlreiche neue entdeckt, zum Beispiel diesen stolzen Luchs.

Brandstetter_Luchs

© Johann Brandstetter, mit frdl. Genehmigung des oekom verlags

Symbiose aus Kunst und Wissenschaft

Johann Brandstetter versteht sich nicht nur als Künstler, sondern auch als Forscher. Er reist gern in abgeschiedene Regionen und recherchiert gründlich die ökologischen Zusammenhänge dessen, was er beobachtet. Das Ergebnis zeigt sich in seinen Naturillustrationen, die uns Zusammenhänge zwischen verschiedenen Lebensformen erschließen. Für seine Bleistiftskizzen, Aquarelle und Kohlezeichnungen verwendet er Erdpigmente, die er von seinen Reisen mitgebracht hat.

Im Interview mit der Kunsthistorikerin Annette Scholl, das im Buch nachzulesen ist, erzählt der Künstler, was ihn antreibt:

Ich möchte wieder Lust auf die Geheimnisse der Natur wecken. Ich will zeigen, dass der Zugang und die Liebe zur Natur viel leichter mit dem Auge des Entdeckers zu finden sind als durch düstere Endzeitszenarien. … Wer sich mit meinen Arbeiten befasst, lernt auch etwas, gewinnt Wissen über Arten dazu, über Vielfalt und dass man diese Vielfalt braucht, damit das Ökosystem, auf das auch wir angewiesen sind, nicht zusammenbricht.

Seine Zeichnungen sind für ihn auch ein Mittel, zu bewahren, was verloren geht. Daher ist ein Kapitel den 100-jährigen Silberweiden im bayrischen Inntal gewidmet, die ihn seit seiner Kindheit begleiteten und deren Abholzung Brandstetter schockiert beobachtete.

Netzwerke der Natur

Und immer wieder geht es um Beziehungen, um Netzwerke! Das wird besonders deutlich bei den doppelseitigen Bildtafeln, auf denen Tiere und Pflanzen eines Lebensraums in ihren symbiotischen Beziehungen zueinander dargestellt sind. Auf dem Cover des Bildbands Über Leben ist die tropische Kannenpflanze Nepenthes rafflesiana abgebildet, in deren Kanne eine Kurznasenfledermaus rastet. Das Tierchen ist dort bestens vor Feinden geschützt. Und es versorgt die Pflanze durch seine Ausscheidungen mit Nährstoffen. Zu diesem symbiotischen Netzwerk gehören auch Landkrabben, Krabbenspinnen, Zwerglaubfrösche und bestimmte Ameisenarten. Brandstetter reichert seine Bildtafeln mit zahlreichen botanischen und zoologischen Notizen an. Es ist, als studiere man die Feldnotizen in einem klassischen Forschertagebuch!

Brandstetter_Passionsblume

© Johann Brandstetter, mit frdl. Genehmigung des oekom verlags

Eine besondere Leidenschaft verbindet Johann Brandstetter mit Schmetterlingen, was nicht nur im vorliegenden Bildband zu sehen ist, sondern auch in einem neuen Werk, zusammen mit der Biologin Elke Zippel: Wie Schmetterlinge leben. Ich habe schon darin geschmökert und werde es hier demnächst vorstellen.

Biophilie

Der Bildband enthält einen lesenswerten Essay des Biologen und Journalisten Andreas Weber, der Brandstetters Kunst als Ausdruck der Biophilie würdigt, einer zutiefst menschlichen Liebe zu allem Lebendigen, von der sich viele Menschen leider entfremdet haben.

Wie keinem anderen zeitgenössischen Naturkünstler gelingt es ihm, das Lebendige so einzufangen, dass sich seine individuellen Gestalten in unseren Herzen festsetzen,

schreibt Weber. Das trifft es auf den Punkt!

Diese Kunst geht weit über das Abbilden der Natur hinaus. Sie ist verdichtetes Wissen und Genuss. Ich empfehle den Bildband Über Leben von Johann Brandstetter allen Naturverbundenen – zum Schmökern, Schwelgen und Erkennen!

Foto Johann Brandstetter

© Johann Brandstetter

Johann Brandstetter: Über Leben – Die Wiederentdeckung der Natur
Mit einem Essay von Andreas Weber
oekom verlag 2019, 112 Seiten mit vielen Abbildungen
Format: 225 x 270 mm
ISBN 978-3-96238-133-2
Leseprobe

Website: https://www.johann-brandstetter.com/

 

Beitrag empfehlen

2 Kommentare

  1. Pingback:Johann Brandstetter/Elke Zippel: Wie Schmetterlinge leben | Elementares Lesen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert