Schleim steckt voller Überraschungen! In den Meeren ist er ebenso zu finden wie in den Wüsten, im menschlichen Körper und im Erdreich. Schleim ist überall! Woraus er besteht, was ihn zusammenhält und welche faszinierenden Eigenschaften er besitzt, erklärt die Wissenschaftsjournalistin Susanne Wedlich in ihrem herrlichen Buch vom Schleim.
Warum ekeln wir uns eigentlich vor dieser bedeutenden Substanz? 3 Milliarden Jahre lang dominierten glibberige Mikrobenmatten das Leben auf der Erde. Stromatolithen schichteten Schleimschicht auf Schleimschicht. Schon die einfachen Organismen der Urzeit schützten sich also mit einem schleimigen Biofilm vor der feindlichen Umwelt, so dass der Evolution hin zu immer komplexeren Lebensformen nichts im Wege stand.
Auch der menschliche Körper besitzt verschiedene Schleimsysteme, die ihn schützen, zum Beispiel im Magen-Darm-Trakt und in den Atemwegen. Ohne Schleimbarriere hätten Krankheitserreger leichtes Spiel mit uns. Doch Schleim wird auch mit Krankheit, Tod und Verdorbenem assoziiert. Und so dominiert der Ekel, wenn wir an Schleim denken. Genüsslich führt uns die Autorin all die schleimtriefenden Monster in Kinofilmen und in der Literatur vor Augen, die bei uns Widerwillen auslösen – und zugleich eine tiefe Faszination. Diesem zwiespältigen Verhältnis zum Schleim geht Susanne Wedlich auf den Grund.
Schleim hat eine Konsistenz zwischen flüssig und fest. Bis zu 99 % besteht er aus Wasser. Und doch ist er der Kitt, der Küsten zusammenhält und Biologische Bodenkrusten in trockenen Regionen vor Erosion bewahrt. Er ist ein Material der Grenzflächen, der Interfaces, wo sich verschiedene Schichten, zum Beispiel Luft, Wasser und Erde, berühren. Je nach Bedarf dient er als Gleitmittel oder Klebstoff. Kein Wunder, dass die Biomedizin und andere Forschungszweige seine Eigenschaften nutzbar machen wollen.
Bei ihren langjährigen Recherchen hat die Autorin allerlei Wissenswertes und Skurriles zutage gefördert:
- die Wahrheit über den Urschleim Bathybius Haeckelii, den der Biologe Ernst Haeckel am Meeresgrund vermutete
- dass lebendige Nacktschnecken früher als Wagenschmiere verwendet wurden
- den intelligent agierenden Schleimpilz “Le Blob“, dessen effiziente räumliche Ausbreitung nicht nur Mikrobiologen fasziniert
- Spinnen, Frösche und Spechte, die mit ihren schleimbehafteten Zungen Beute fangen
- karnivore Pflanzen wie z.B. Sonnentau, die schleimige Wunderstoffe absondern und damit Insekten anlocken
- die bisher kaum erforschte hauchdünne Schleimschicht auf den Ozeanen, die ein eigenes Ökosystem bildet – sie könnte durch die Versauerung der Meere erheblich dicker werden.
Manche Wissenschaftler warnen vor einer neuen Ära des Schleims. Denn der Klimawandel wird die Textur der verschiedenen Schleime verändern, mit fatalen Folgen für die betroffenen Ökosysteme. Schleim ist eine lebenswichtige Substanz. Das zeigt die Lektüre dieses erhellenden Buchs.
Das Buch vom Schleim richtet sich nicht speziell an wissenschaftlich Interessierte. Susanne Wedlich streift Mikrobiologie, Physik, Botanik, Zoologie und Erdgeschichte. Sie lotet aber auch gekonnt und überaus kurzweilig die kulturellen Abgründe des Themas aus, die ihr oft als Ausgangspunkt für die wissenschaftlichen Aspekte dienen. Ich bin begeistert, was sie da alles ausgegraben hat! Die grüngelb schillernde Leinenausgabe ist mit Illustrationen von Michael Rosenlehner geschmückt. Schleimfarben und wunderschön!
Susanne Wedlich: Das Buch vom Schleim
Verlag Matthes & Seitz, 287 Seiten mit Illustrationen von Michael Rosenlehner
Reihe Naturkunden
ISBN 978-3-95757-774-0
Leseprobe
Iiiiii! Aber hey, hört sich so an, als sollte ich mich mal dem Thema widmen! ;-)
Unbedingt!
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