Jürgen Goldstein: Georg Forster – Zwischen Freiheit und Naturgewalt

Cover Goldstein Georg Forster

© Matthes & Seitz

Als 17jähriger ging Georg Forster mit James Cook auf eine dreijährige Reise rund um die Welt. Auf der Suche nach dem Südkontinent lernte er die Antarktis kennen, zeichnete, erforschte die Natur und begegnete verschiedenen Völkern der Südsee. Später unterstützte er die Mainzer Republik und starb im Alter von 39 Jahren im Pariser Exil. Wie wurde er vom Naturforscher zum Revolutionär? Und warum geriet er kurz nach seinem frühen Tod in Vergessenheit? Diesen Fragen geht der Philosophieprofessor Jürgen Goldstein in seiner lesenswerten Biografie Georg Forster – Zwischen Freiheit und Naturgewalt nach. Forster ist für ihn „der ungelesene Klassiker der deutschen Geistesgeschichte“. Anhand vieler Werk- und Briefauszüge, die Goldstein klug interpretiert, gilt es diesen Klassiker wiederzuentdecken.

Forster besaß keine klassische Schulbildung, da er von seinem Vater Reinhold Forster erzogen wurde. Doch das Lernen fiel ihm leicht, er besaß ein großes Talent für Sprachen und eine unbändige Neugier auf die fremde Welt. Vorurteilsfrei erkundete er die Menschen der Südsee und beschrieb sie später in seinem Werk Reise um die Welt. Das eigene Erleben stand für Forster stets im Vordergrund vor aller Theorie. Daraus entwickelte er seine Ansichten. Zugleich bedauerte er, dass ihm oft das nötige Vorwissen fehlte.

Viele Stationen in Forsters Leben, Heirat, Familiengründung, Scheitern der Ehe, seine Lehraufträge in Kassel und Wilna sowie die Tätigkeit als unterforderter Bibliothekar in Mainz werden in diesem Buch nur knapp ausgeführt. Wichtiger ist Goldstein, wie sich Forsters Erfahrungen in dessen Werk spiegeln. Die prägende Phase seines Lebens war die Weltreise als junger Mann. Aus seinen Beobachtungen der Lebensweise der Völker der Südsee leitete Forster seinen Begriff von Natur und Freiheit ab. Bei den Tahitianern erlebte er ein entspannteres Verhältnis zu Besitz, Herrschaft und Macht, als es ihm aus Europa vertraut war und weniger Ungleichheit. Diesen Zustand empfand er als natürlich. In Europa arbeitete Forster seine Erlebnisse auf und publizierte sie. Als Reiseschriftsteller hat er Maßstäbe gesetzt.

Spannend zu lesen ist Goldsteins Analyse der Stilmittel, die Forster in seinen Werken verwendete. Der dramatische, von eigenen Erlebnissen geprägte Erzählton lässt den Leser teilhaben an der fremdartigen Welt, den Gefahren der Antarktis und der üppigen Schönheit der Südsee. Goldsteins fast schwärmerische Äußerungen über Forsters Reisebeschreibungen wecken Lust, dessen Texte selbst zu entdecken. Auch in seinen anderen Werken findet Goldstein kluge Metaphern, sinnliche Elemente und Beobachtungen, die über ihren Gegenstand hinausweisen und zu kritischem Denken anregen.

Die Tendenz zum Revolutionär hat sich allmählich bei Forster entwickelt und ist in dessen Werken nachvollziehbar. Forsters Werk Cook, der Entdecker von 1787, das nach dem gewaltsamen Tod James Cooks auf dessen dritter Weltreise entstand, deutet Jürgen Goldstein als „Dokument des erwachenden Revolutionsbewusstseins“. Die Französische Revolution 1789 war für Forster eine unausweichliche Entwicklung als Folge von Unterdrückung und Ungerechtigkeit.

Seine Ansichten vom Niederrhein, in denen er die Reise mit Alexander von Humboldt im Jahr 1790 beschrieb, haben laut Goldstein schon den „Charakter einer politischen Aufklärungsschrift“, obwohl Forster sich nur als Beobachter gab. Forster ging davon aus, dass auch das gemeine Volk in seiner Heimat vom Freiheitsdrang und Umsturzgedanken getrieben sei. Daher unterstützte er die Mainzer Republik und sehnte die Vereinigung mit Frankreich herbei.

Die Revolution war für ihn die zwangsläufige Konsequenz einer naturgegebenen Entwicklung, nicht vom Verstand getrieben, sondern irrational und auch nicht ohne Gewalt möglich. Während seiner Zeit in Paris, als die Mainzer Republik scheiterte und er die Terrorherrschaft der Französischen Revolution mit eigenen Augen sah, reagierte er mit Abscheu. Von seiner Einstellung zur Revolution rückte er dennoch nicht ab.

Um Forsters Gedanken einordnen zu können, hat Goldstein etliche zeitgenössische Quellen von Rousseau, Kant oder Goethe zum Vergleich herangezogen. Sein Buch ist eine beeindruckende Analyse von Forsters Werk und Wirken und bietet zugleich einen Einblick in die Diskurse jener Epoche.

Am 17. März 2016 erhielt Jürgen Goldstein dafür den Preis der Leipziger Buchmesse als bestes Sachbuch. In der Begründung der Jury heißt es: „Es liest sich wie der Abenteuerroman eines Lebens, voller Erkenntnisse, die bis heute gültig sind.“

Jürgen Goldstein: Georg Forster – Zwischen Freiheit und Naturgewalt
Verlag Matthes & Seitz 2015, 301 Seiten
ISBN 978-3-95757-090-1

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10 Kommentare

  1. Pingback:Vorfreuden für Leseratten IV - Frühjahr 2015 – Elementares Lesen

  2. Sehr schöne Zusammenfassung eines wunderbaren Buches.
    Es bietet – bei allen notwendigen Auslassungen – sehr viel an Information und ist wirklich wert gelesen zu werden. Forster war ein Mann des geschriebenen Wortes. Unzählige Aufsätze, Briefe zeugen von seiner „Ich schreibe, also bin ich“ – Einstellung.
    Was mit besonders gefiel war die Einteilung in chronologische Themenbereiche, in denen dann die Zitate und Originaltexte eingebaut und zur Erläuterung herangezogen wurden. Man kann das Buch also ohne Probleme Kapitel für Kapitel lesen (bei mir war es eher ein Abarbeiten – im positiven Sinne).
    Ein kleines Manko: das etwas beengte Schriftbild – na gut, ich bin auch schon etwas älter.

    • Wer eine ausführliche Biografie erwartet, für den ist es wohl nicht das Richtige. Aber mir hat die Konzentration auf Forsters Werke sehr gut gefallen. Da ging es mir wie dir. Auch die Auseinandersetzung mit Kant und Goethe fand ich interessant.

  3. Ach herrjeh! Da steht doch noch „Reise um die Welt“ ungelesen im Regal, da drängelt schon das nächste Buch und will Platz und Zeit! Na jut, dann will ick mal…

    • Die „Reise um die Welt“ habe ich mir im letzten Jahr gekauft, als ich die Vorankündigung für Goldsteins Buch las. Nach der Lektüre dieser Biografie kann man es sicher viel besser einordnen.

  4. Mir geht es wie dem Vor“schreiber“ Emswashed … die Reise um die Welt steht noch da, und da machst Du uns das nächste Buch schmackhaft. Aber ich werde es mir besorgen: Forster, Humboldt u.ä. Kaliber sind einfach faszinierende Persönlichkeiten.

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