Bernd Brunner: Als die Winter noch Winter waren

Cover Brunner Winter

© Galiani

Als die Winter noch Winter waren − dieser Titel weckt nostalgische Gefühle an vergangene Zeiten. Diese bitterkalten Winter waren voller Schnee, der sich rechts und links der Wege türmte. Auf zugefrorenen Seen konnten wir Schlittschuh laufen, und drinnen war es gemütlich bei Kerzenschein am bollernden Ofen. Morgens glitzerten in ungeheizten Zimmern wunderschöne Eisblumen an den Fenstern. Das ist heute eher selten der Fall. Dank des Klimawandels sind die Winter in unseren Breiten nicht mehr so hart und nicht mehr so schneereich. Selbst bei Kälte sind wir gut gerüstet dank funktionierender Heizungen und wetterfester Kleidung. Uns fehlt das echte Wintererlebnis.
Bernd Brunner bringt uns den Winter mit all seinen Facetten zurück, in einer gelungenen Mischung aus Kulturgeschichte, Poesie und Wissenschaft. Er erzählt von Wintern in früheren Zeiten und von Regionen, in denen es noch echte Winter gibt.

Als Autor kulturgeschichtlicher Werke widmet sich Bernd Brunner originellen Themen in ungewöhnlicher Bandbreite: der Besessenheit von Vogelliebhabern in Ornithomania, der horizontalen Lebensform in Die Kunst des Liegens, außerdem dem Mond, Bären und Aquarien. Passend zur Weihnachtszeit gibt es sogar ein Buch über Die Erfindung des Weihnachtsbaums.

In seinem Buch Als die Winter noch Winter waren hat der Autor viele kleine Fundstücke über die kalte Jahreszeit zusammengetragen. Er erklärt, wie Menschen, Tiere und Pflanzen sich auf den Winter einstellen und warum wir nicht auf eine Weiße Weihnacht hoffen sollten. Er berichtet von der Welteistheorie, vom Jahr ohne Sommer und der Jahrhunderte dauernden Kleinen Eiszeit. Er weiht uns ein in die Wissenschaft des Frierens und die Wissenschaft der Schneeflocke, doch ohne zu sehr in die Tiefe zu gehen. Fasziniert war ich von der Geschichte des amerikanischen Farmers Wilson A. Bentley, dessen Leidenschaft den Eiskristallen galt. Mithilfe weicher Vogelfedern positionierte er sie unter dem Mikroskop, um ihre Struktur zu ergründen. Das musste sehr schnell gehen, damit sie nicht schmolzen. Tausende von Eiskristallen hat er in unendlicher Feinarbeit fotografiert. Sein Bildband Snow Crystals von 1931 muss ein wahrer Augenschmaus sein.

Schneetunnel, Abbildung aus dem Archiv des Autors

Schneetunnel in Japan, Abbildung aus dem Archiv des Autors

Während bei uns in Europa die Winter immer kürzer, wärmer und schneeärmer werden, gibt es in Japan eine Region, die zuverlässig acht Monate pro Jahr im Schnee versinkt. Dort gibt es gefrorene Wasserfälle, ganz aus Schnee gebaute Theater und Schneetunnel − nicht unter, sondern zwischen den Häusern! Im Buch können wir gefahrlos eintauchen in diese Welt.

Brunners Erkundungen über den Winter sind angereichert mit vielen Zitaten von Zeitzeugen aus der Literatur, der Kunst oder der Forschung, zum Beispiel von dem schwedischen Geistlichen Olaus Magnus, der im 16. Jahrhundert die Völker Nordeuropas auf seinen Reisen besuchte und ihre winterlichen Bräuche beschrieb. Wir lesen von Eisblumen in der deutschen Literatur, von der „Geburt des kernigen Skilehrers“ und anderen Auswüchsen des Wintertourismus, von geheimnisvollen Gestalten des Winters wie Frau Holle und Väterchen Frost. Wir entdecken den Winter quer über die Kontinente und durch alle Zeiten hindurch.

Als die Winter noch Winter waren ist ein Kaleidoskop über den Zauber und die Härten des Winters. Dieses Buch ist die ideale Lektüre für die kalte Jahreszeit, schön gestaltet mit Schneeflocken, die silbern auf dem Cover glitzern. Macht es euch gemütlich, lest und staunt!

Bernd Brunner: Als die Winter noch Winter waren – Geschichte einer Jahreszeit
Galiani Verlag 2016, 240 Seiten mit vielen Abbildungen aus dem Archiv des Autors
ISBN 978-3-86971-129-4
Leseprobe

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6 Kommentare

  1. Eine feine Besprechung, ich kann mich an die kalten Winter noch erinnern und mochte die Stimmung immer sehr gerne. Diese scheint mit diesem Buch wieder erweckt zu werden und laedt zum Lesen ein.

    • Es stimmt – dies ist ein Buch, das zum Schwelgen in Erinnerungen einlädt, obwohl der Autor den Winter ja nun wirklich nicht verharmlost. Erstaunlich, was er alles herausgefunden hat!

  2. Der Winter ist heutzutage nicht mehr weiß, sondern meist nass, feucht und grau.
    Es hatte schon etwas Erhabenes, über eine weite unberührte Schneelandschaft zu blicken.
    Als Kinder waren wir da oft draussen, als junge Erwachsene liebten wir den Langlauf – oder das Treten auf Skiern ( denn die Kondition war nicht entsprechend ausgeprägt).
    Wir hatten als Kinder eine kizzlige kleine Abfahrt, die wir „Maria-Hilf“ nannten, weil man um einen Baum zu umschiffen hatte.
    Die Schlittenfahrten waren auch besonders: Wir hatten einen Bob, der war eine Art Luxusliner unter den Schlitten. Mit dem ging es oft eine lange Abfahrt hinunter.

    • Diese Wintererlebnisse fehlen wirklich. Wir sind ja heutzutage schon dankbar, wenn der Schnee mal zwei Tage liegenbleibt. Ich kann mich noch gut an Schlittenfahrten, gezogen vom Traktor meines Onkels, erinnern. Besonders mochte ich es, wenn plötzlich alles still wurde, weil der Schnee die üblichen Geräusche überdeckte. Dieses Innehalten – das beschreibt Brunner auch.

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