Chris Hadfield: Anleitung zur Schwerelosigkeit

Buchcover Hadfield

© Heyne

Der kanadische Astronaut Chris Hadfield erzählt in seinem spannenden Buch „Anleitung zur Schwerelosigkeit“, wie man Astronaut wird und welche Lehren sich daraus für das alltägliche Leben ziehen lassen. Im Mai letzten Jahres kehrte er von einem fünfmonatigen Aufenthalt auf der ISS, der Internationalen Raumstation, zur Erde zurück. Es war sein dritter und letzter Aufenthalt im Weltall.

In wenigen Tagen, am 28. Mai, startet wieder ein Astronautenteam von Baikonur aus mit einer Sojus-Rakete zur ISS. Diesmal ist der deutsche Astronaut Alexander Gerst mit an Bord, um sechs Monate dort zu verbringen. Er wird auf der ISS viele nützliche Experimente für zukünftige Langzeitmissionen im All und für zahlreiche medizinische und technische Anwendungen auf der Erde durchführen.

Durch das Lesen von Chris Hadfields Buch können wir uns eine recht genaue Vorstellung davon machen, wie sich Alexander Gerst und andere Astronauten auf ihre Missionen vorbereiten. Das Leben eines Astronauten ist gespickt mit langjährigem hartem Training und permanenter wissenschaftlich-technischer Weiterbildung. Ein starker Charakter und leistungsorientiertes Denken sind selbstverständlich. Wie schafft man es so weit?

Chris Hadfields Faszination für die Raumfahrt begann schon im Alter von 9 Jahren, als er 1969 die erste Mondlandung live im Fernsehen verfolgte. Damit hatte er seinen Traumberuf gefunden. Da sein Vater Linienpilot war, wuchs er in der Nähe von Flugplätzen auf und lernte sobald wie möglich selbst zu fliegen. Die beruflichen Stationen als Kampfpilot bei der Luftwaffe und später als Testpilot sind sehr typisch für eine zukünftige Astronautenlaufbahn. Ein Maschinenbaustudium und ein Master in Luftfahrttechnik vertieften sein technisches Wissen. Doch wichtig sind vor allem die charakterlichen Eigenschaften. Hadfield hat sehr hart trainiert, seine Gefühle und sein Verhalten immer wieder reflektiert und versucht, aus allen Erfahrungen zu lernen, um sich selbst zu perfektionieren – immer mit dem großen Ziel vor Auge, irgendwann ins All zu fliegen.

1992 gelang es ihm, als einer von über 5.000 Bewerbern ins kanadische Raumfahrtprogramm bei der CSA aufgenommen zu werden und an einem Austauschprogramm mit der NASA teilzunehmen. Jahre konsequenten Trainings, verbunden mit vielen Reisen unter anderem nach Russland und Deutschland folgten. 1995 flog er zum ersten Mal mit der Raumfähre Atlantis ins All, um an der russischen Raumstation MIR ein Kopplungsmodul für Space Shuttles zu installieren. Der Blick zurück auf die Erde war eine überwältigende Erfahrung. Auf seiner zweiten Mission 2001 wurden Bauteile mit dem Shuttle Endeavour transportiert, die dem Aufbau der ISS dienten. Dort geriet Hadfield  bei einem Außeneinsatz in eine gefährliche Lage, als ihm Tränen in den Augen die Sicht versperrten und den Erfolg der Mission in große Gefahr brachten. Derartige Situationen führen immer zu ausgiebigen Fehleranalysen, um so etwas in Zukunft zu vermeiden.

Danach war nicht klar, ob er je wieder ins All fliegen würde. Hadfield fand es daher wichtig, auch diese Zeiten der Ungewissheit auszuhalten und einen Sinn in allem zu sehen, was er gerade tat. Weltraumflüge sind für ausgebildete Astronauten zwar ein Traumziel, aber es ist niemals sicher, ob man wirklich die Chance dazu erhält. Zu viele Faktoren spielen eine Rolle. Missionen werden abgeblasen, kleine gesundheitliche Probleme können einen untauglich machen. Sich auf diesen Traum zu fixieren wäre nicht sinnvoll.

Außerdem sind all die Aufgaben, die auf der Erde zu erledigen sind, ebenso wichtig, denn Raumfahrt ist immer eine Teamleistung, und dazu hat auch Hadfield viel beigetragen. Die Stationen seiner Karriere sind sehr beeindruckend: einige Jahre als CAPCOM, als Verbindungssprecher zwischen den Astronauten auf der ISS und der Bodenstation in Houston, einige Jahre in Russland als Leiter des Raumfahrtbetriebs der NASA, dann wieder in Houston als Leiter der ISS-Abläufe, um nur einige zu nennen. Nach elf Jahren erhielt er erneut die Chance, ins All zu fliegen, diesmal für fünf Monate auf der ISS. In den letzten drei Monaten seines Aufenthalts war er als erster Kanadier sogar Kommandant der Station. Das war für ihn natürlich „der Höhepunkt meiner Laufbahn“!

Den Flug zur ISS mit all seinen Vorbereitungen und Abschiedsritualen beschreibt Hadfield so ausführlich, dass ich unwillkürlich mitfieberte! Lebhaft können wir uns nach dem Lesen den schwierigen Übergang in die Schwerelosigkeit vorstellen, die Probleme, wenn es kein Oben und Unten gibt, den Umgang mit Hygiene, den streng getakteten Arbeitsplan, den die NASA vorgibt. All das schildert Hadfield mit viel Humor. Die Freizeit wird zum Beispiel genutzt, um Unsinn mit Gegenständen in der Schwerelosigkeit zu treiben, sich ein tolles Essen zuzubereiten (Erdnussbutter-Marmeladen-Sandwich), oder zu musizieren („Space-Oddity“).

Natürlich berichtet Chris Hadfield auch vom Umgang mit Krisensituationen und Angst. Jeder kleine Fehler kann tödliche Folgen haben, daher ist eine perfekte Vorbereitung so wichtig. Die eigenen Überlebensinstinkte müssen abtrainiert und durch strikte Notfallroutinen ersetzt werden. Es reicht auch nicht, in einigen Dingen gut zu sein, sondern jeder muss möglichst alle Situationen beherrschen, ob das kleinere medizinische Eingriffe sind, komplizierte Außeneinsätze oder das Reparieren der ständig kaputten Bordtoilette. Eine Frage, die Astronauten ständig im Hinterkopf haben müssen, lautet: „Von wo droht mir als nächstes Lebensgefahr?“ Mit dieser Einstellung ist es auch gelungen, eine gefährliche Situation gegen Ende der Mission zu bewältigen, als ein Ammoniakleck an der Außenhülle die Kühlung und Stromversorgung an Bord der ISS gefährdete – da stockte mir beim Lesen der Atem!

Wer im Internet regelmäßig Chris Hadfields Tweets verfolgt oder sich die zahlreichen Videos auf Youtube angesehen hat, wird vieles in diesem Buch wiedererkennen. Dort hat er den Bordalltag auf der ISS dokumentiert und uns völlig neue Blicke auf die Erde ermöglicht.  Aber hier in seinem Buch wird alles in einen sinnvollen Zusammenhang gestellt, die täglichen Routinen, die technischen Herausforderungen, der Kontakt zur Öffentlichkeit, vor allem der Sinn und Zwecken des Ganzen.

Mich haben all diese Details unglaublich fasziniert, so dass ich am liebsten das ganze Buch nacherzählen möchte. Aber das wäre Unsinn – lest es selbst! Das Buch ist in einem flüssigen Stil verfasst und nicht mit technischen und wissenschaftlichen Details überfrachtet. Es ist so beeindruckend, dass jeder sich selbst ein Bild machen sollte.

Vom 17. bis 20. Mai befindet sich Chris Hadfield zur Vorstellung der deutschen Buchausgabe auf einer kurzen Deutschland-Tournee mit Stationen in München, Berlin und Hamburg – hier sind die genauen Termine.

Chris Hadfield: Anleitung zur Schwerelosigkeit – Was wir im All fürs Leben lernen können
Aus dem Kanadischen Englisch von Elisabeth Schmalen und Johanna Wais
Heyne Verlag 2014
ISBN 978-3-453-20068-5

Erhältlich bei der Buchhandlung meines Vertrauens

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7 Kommentare

  1. Hat dies auf Zeitreisender rebloggt und kommentierte:
    Vielen Dank für diese ausführliche Rezension! Dieses Buch werde ich mir als Astronomie- und Raumfahrt-Fan auf jeden Fall kaufen!

  2. Spannend – und spannend vorgestellt, danke!

  3. Pingback:Mein Treffen mit dem Astronauten Chris “Major Tom” Hadfield | Clear Sky-Blog

  4. Ich habe das Buch gestern abend zu Ende gelesen und bin auch begeistert! Mit einigen kurzen Unterbrechungen habe ich das Buch regelrecht verschlungen. Chris Hadfield schreibt über sein Leben und den Wunsch, Astronaut zu werden, sehr plastisch und verständlich. Ich wollte als Jugendlicher auch immer Astronaut werden, aber nach der Lektüre des Buches bin ich diesbezüglch doch ziemlich desillusioniert. Ich wäre sicherlich nicht dazu bereit gewesen, diese Strapazen und Mühen auf mich zu nehmen, um ins All zu kommen. Umso mehr bewundere ich den Autor, wie er seinen Kindheitstraum dann auch später umgesetzt hat.
    Das Buch ist absolut lesenswert und gibt wertvolle Tipps, die man auch auf der Erde für „normale“ Alltagsentscheidungen verwenden könnte.
    Als Raumfahrt- und SciFi-Fan kann ich dieses Buch nur weiterempfehlen. Beim Lesen fühlt man sich für kurze Zeit auch wie ein Astronaut.

    • Lieber Zeitreisender,
      vielen Dank für diesen Kommentar. Ich war ebenfalls beeindruckt von Hadfields unglaublicher Bereitschaft, für seinen Traum zu kämpfen. Es hat viel Spaß gemacht, ihm bei seiner Entwicklung zum Astronauten zu folgen und die realen Bedingungen im All besser kennen zu lernen.
      Liebe Grüße,
      Petra

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