Frauengehirne sind im Durchschnitt kleiner als die Gehirne von Männern. Was sagt das aus über die Klugheit von Frauen, über die kognitiven Fähigkeiten der Männer? Was ist dran an der Differenz zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen? Die israelische Neurowissenschaftlerin Daphna Joel hat zusammen mit der Wissenschaftsautorin Luba Vikhanski ein erhellendes Buch dazu vorgelegt. Dessen Titel spricht für sich: Das Gehirn hat kein Geschlecht.
Daphna Joel leugnet nicht, dass es Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen gibt. Doch die Schlussfolgerungen, die daraus abgeleitet werden, hält sie für falsch. Fundamentale Differenzen im Hinblick auf Eigenschaften und Begabungen existieren nicht, doch die Hirnforschung hält seit mehr als 100 Jahren daran fest. Sie sind das Ergebnis systematischer Verzerrungen und Fehlinterpretationen und dienen dazu, die unterschiedlichen Rollen von Männern und Frauen in der Gesellschaft zu rechtfertigen.
Nach der Auswertung zahlreicher Studien und der Durchführung eigener Forschungen kommt Joel zu folgendem Ergebnis: Das typische Frauen- oder Männergehirn gibt es nicht! Gehirne sind ein Leben lang formbar. Sie verändern sich durch unsere Erfahrungen. 2015 konnte die Neurowissenschaftlerin durch die Auswertung von Hirnscans in einer heiß diskutierten Studie nachweisen, dass jedes Gehirn ein einzigartiges Mosaik aus sogenannten männlichen und weiblichen Eigenschaften ist.
Joel konfrontiert uns geschickt mit den Geschlechtsstereotypen und Vorurteilen in unseren Köpfen. An Beispielen aus ihrem Familien- und Unialltag zeigt sie, wie leicht man in die Genderfalle tappt. Die »binäre Gehirnwäsche« sorgt dafür, dass wir Eigenschaften, Vorlieben und Verhaltensweisen in typisch männlich oder weiblich einteilen. Doch diese Einteilung ist ein soziales Konstrukt, das uns festlegt und eingrenzt. Joel setzt sich für eine Überwindung der Geschlechtsstereotypen ein, für eine diverse Gesellschaft, in der alle Facetten der Persönlichkeit akzeptiert werden. Und sie hat eine Menge Ideen, wie eine »Welt ohne Gender« aussehen könnte.
Klar argumentiert, erfrischend und bereichernd!
Nominiert als Wissensbuch des Jahres 2020/21 in der Kategorie ZÜNDSTOFF
Daphna Joel/Luba Vikhanski: Das Gehirn hat kein Geschlecht – Wie die Neurowissenschaft die Genderdebatte revolutioniert
Originaltitel: Gender Mosaic. Beyond the Myth of the Male and Female Brain
Aus dem Amerikanischen von Johanna Wais
dtv 2021, 240 Seiten
ISBN 978-3-423-28253-6
Leseprobe
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Judith Polgar hat ja gezeigt, daß sie als Frau in einer Männerdomäne mithalten kann. Immerhin gehörte sie mal zu den Top ten.
Ihr Vater wollte das einst praktisch beweisen, so sagt man, indem er seine Töchter das Spiel lernte.