Im Zeitalter der Satellitennavigation hat er an Bedeutung verloren, doch einst war er unverzichtbar und rettete vielen Seefahrern das Leben – der Sextant. David Barrie setzt diesem nützlichen Instrument ein Denkmal. In seinem Buch beschreibt er, wie sich die Navigation auf hoher See im Laufe der letzten Jahrhunderte entwickelte und welche besondere Rolle der Sextant dabei spielte.
Die Neuzeit war die hohe Zeit der Forschungsreisen rund um den Erdball. Von Europa machten sich zahlreiche Entdecker auf, um unbekannte Ozeane und Kontinente zu erkunden. Meere und Küstenlinien wurden kartiert und die Informationen vergangener Expeditionen vervollständigt. Doch das Reisen über die Meere war gefährlich, denn oft war es unmöglich festzustellen, wo genau man sich überhaupt befand und in welcher Richtung das Ziel der Reise lag.
Beim Navigieren kamen verschiedene Instrumente zum Einsatz: Kompass, Seekarten und verschiedene Vorläufer des Sextanten wie der Jakobsstab, der Quadrant und das Astrolabium. Doch keines dieser Instrumente arbeitete präzise genug. Dies änderte sich erst, als um 1730 der Sextant gleich doppelt erfunden wurde: vom Engländer John Hadley und dem Amerikaner Thomas Godfrey. Hadleys Instrument setzte sich durch und wurde schließlich weiter entwickelt. Der Sextant ermöglicht die Messung der Höhe eines Gestirns und dessen Winkel zum Horizont oder auch die Bestimmung des Winkels zweier Objekte zueinander. Sonne, Sterne, Mond und Planeten können damit zur Positionsbestimmung auf See verwendet werden. Doch etwas fehlte noch.
Die Bestimmung der geografischen Breite war mittlerweile durch Messung des höchsten Sonnenstands oder der Höhe des Polarsterns kein Problem mehr, aber der Längengrad ließ sich bis ins 18. Jahrhundert nicht sicher ermitteln. Dazu mussten sowohl die Erdrotation als auch die elliptische Bahn der Erde und der Planeten um die Sonne berücksichtigt werden. Ein Meilenstein bei der Messung des Längengrads war die Erfindung des Chronometers durch John Harrison 1759. Nun war eine relativ genaue Positionsbestimmung durch die exakte Uhrzeit, kombiniert mit einem Sextanten und einem nautischen Almanach, in dem die Bewegungen der Gestirne vorausberechnet wurden, möglich. David Barrie zeichnet diese Entwicklung anschaulich nach und würdigt auch die Leistungen vieler Wissenschaftler, die einen Beitrag zu diesen Erfindungen geleistet haben: Isaac Newton, John Bird, Nevil Maskelyne und viele andere.
Schon als Kind hat David Barrie das Segeln von seinem Vater gelernt und begonnen, sich für die Vermessung zu begeistern. Als junger Mann überquerte er den Atlantik von Amerika nach England auf einer Segelyacht. Die lebendige Beschreibung dieser Reise nimmt im Buch einen größeren Raum ein, denn Barrie erlernte die Gestirnsnavigation und wurde auch im Gebrauch eines Sextanten unterwiesen. Seine damaligen Tagebucheinträge bilden den Auftakt zu den Kapiteln dieses Buches und vermitteln einen guten Einblick in die Probleme der Navigation ohne GPS und Funktechnik, die heutzutage die Positionsbestimmung auf See erleichtern. Auf diesem Segeltörn blickte er zum ersten Mal durch einen Sextanten:
Zunächst sah ich nichts weiter als einen Kreis, der senkrecht in eine helle und eine dunkle Hälfte unterteilt war; die linke Seite bot den direkten Blick durch die klare Glasscheibe des Horizontspiegels, die dunklere rechte Seite hingegen zeigte den gespiegelten Blick auf den Himmel durch den stark getönten Indexspiegel. Als ich den Horizont fand, suchte ich ihn nach links und rechts ab, bis ich eine helle weiße Scheibe erblickte, die knapp über der dunklen Linie des Meeresspiegels schwebte. Die Scheibe verschwand sofort wieder, aber ich konnte sie erneut sichtbar werden lassen und sah fasziniert zu, wie sie sich stetig aufwärtsbewegte und der Abstand zum Horizont sich vergrößerte. Die grelle Scheibe war die Sonne, und ich beobachtete, wie sich die Erde drehte.
Dies ist die Basis für die Kunst der Gestirnsnavigation mit einem Sextanten.
Um einen Einblick in die praktische Anwendung der Navigation zu geben, berichtet der Autor von den Expeditionen berühmter Seefahrer und lässt sie in ausführlichen Zitaten zu Wort kommen: Captain William Bligh und die Rettung seiner Besatzung nach der Meuterei auf der Bounty, James Cooks Südseereisen und die vergebliche Suche nach einem Südkontinent, Matthew Flinders, der Australien kartieren sollte und nach einem Schiffbruch in Gefangenschaft geriet, Joshua Slocums Weltumsegelung auf einem Einhandsegler, Ernest Shackletons erfolgreiche Rettung seiner Mannschaft in der Antarktis, um nur einige zu nennen.
Die Seefahrer hatten mit vielen Gefahren zu kämpfen: mit heftigen Stürmen, verborgenen Riffen, der schwierigen Suche nach einem sicheren Ankerplatz, aber vor allem mit der exakten Bestimmung ihrer Position, bei schlechtem Wetter erschwert durch fehlende Bezugspunkte am Himmel. Das Gelingen einer Expedition hing in hohem Maße vom Navigationsgeschick der Kapitäne und der richtigen Kombination verschiedener Messmethoden ab. Auf den meisten Expeditionen wurden neben Kompass und Seekarten daher gleich mehrere Chronometer und Sextanten mitgeführt.
Diese Zusammenhänge werden in diesem Buch wunderbar erläutert. Der Sextant ist dabei eines der wichtigsten Navigationsinstrumente. Er hat bei der Vermessung der Meere unschätzbare Dienste geleistet und vielen Seefahrern eine sichere Passage ermöglicht. David Barrie schätzt an diesem Gerät auch den unmittelbaren Zugang zum Verständnis der Bewegungen der Himmelskörper, anders als es bei der modernen Satellitennavigation der Fall ist.
Der einzige Kritikpunkt an diesem sonst gut gelungenen erzählenden Sachbuch ist die Fülle der erwähnten Expeditionen. Es gab lange, durchaus spannende Passagen, aber auch viele Wiederholungen in den Berichten der Seefahrer über Unwetter, Schiffbrüche, erkrankte Besatzungen. Der Aspekt der Navigation trat in einigen Geschichten zu sehr in den Hintergrund. Meine Begeisterung klang in der zweiten Hälfte des Buches daher etwas ab. Dennoch ist es sehr lesenswert: eine solide Mischung aus Wissenschaftsgeschichte und Reisebeschreibung.
David Barrie: Sextant – Die Vermessung der Meere
Aus dem Englischen von Harald Stadler
Mare Verlag 2015, 392 Seiten
ISBN 978-3-86648-203-6
Leseprobe
Hallo Petra! Auf diesen Beitrag hab ich mich schon seit Deinem Kommentar zu meiner Längengrad-Besprechung gefreut! Ist sicher ein spannendes Buch…ich werde es mal im Hinterkopf behalten. Gruß
Auf Harrisons Erfindung des Chronometers und das Längengrad-Problem geht der Autor natürlich auch ein, setzt aber andere Schwerpunkte. Es ist daher die perfekte Ergänzung zu Sobels Längengrad!
Viele Grüße, Petra
Für mich sind die Seefahrt und deren Herausforderungen damals und heute sehr spannende Themen. Es ist interessant, wie der Mensch versucht, dem Meer zu trotzen. Deshalb vielen Dank für diesen interessanten Lesetipp.
Liebe Petra,
vielen Dank für diese Besprechung. Das ist so anschaulich beschrieben und erklärt, dass ich mir vordtellen kann, das auchmal zu wagen (trotz der ,überflüssigen‘ Schilderungenimzweiten Teil, die Du vermutlich völlig zu Recht bemängelst. Ich habe Längengrad sehr gern gelesen, da scheint der Sextant die passende Ergänzung zu sein. Schaun wir mal, ob und wann er bei mir einzieht, auf der Liste steht er jedenfalls schon mal.
Liebe Grüsse
Kai
Man merkt dem Autor die Liebe zu seinem Thema an. Das macht die Überfülle wieder wett. Es wird dir bestimmt gefallen, lieber Kai!
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