Ed Yong: Winzige Gefährten

Cover Yong Winzige Gefaehrten

© Kunstmann

Mikroorganismen wie Bakterien, bestimmte Pilze und Archaea sind die ältesten Lebewesen auf der Erde. Obwohl sie winzig klein sind, machen sie etwa 70 Prozent der Biomasse aus und besiedeln sämtliche Lebensräume. Auch der menschliche Körper zählt dazu. Er ist Heimat von geschätzten 39 Billionen Mikroben! Die meisten dieser Bewohner sind gutartige Nützlinge, ohne die wir gar nicht existieren könnten. Nur die wenigsten Bakterien verursachen Krankheiten und sind damit unsere Feinde. Der preisgekrönte britische Wissenschaftsjournalist Ed Yong macht uns in seinem fesselnden Buch Winzige Gefährten – Wie Mikroben uns eine umfassendere Ansicht vom Leben vermitteln mit der Welt der Mikroben vertraut.

Das Zusammenleben von Mikroben und Tieren hat sich allmählich im Laufe der Evolution entwickelt und sehr unterschiedliche Formen der Symbiose hervorgebracht, von friedlichen Partnerschaften bis hin zu Parasitismus und Dysbiosen, die zu Krankheit und Tod führen. Im Buch lernen wir verschiedene Varianten aus dem Tierreich kennen. Deren intensive Erforschung hilft den Mikrobiologen, die Funktion der Mikroorganismen beim Menschen besser zu verstehen. Lebendig erzählt der Autor von der Geschichte der Mikrobiologie, angefangen bei den Pionieren wie Antoni van Leeuwenhoek bis zu den Forschenden der Gegenwart, die Yong mit Begeisterung für die Sache ihre Methoden erläutern. Yong nimmt uns mit zu ihren Arbeitsplätzen in verschiedenen Zoos und Laboren, wo er detaillierte Einblicke erhält.

Jede Tierart hat eine charakteristische Mikrobengemeinschaft, genannt Mikrobiom, auch der Mensch. Doch von Individuum zu Individuum gibt es große Unterschiede. Die Zusammensetzung der Mikroben wird durch unsere Gene, die Lebensweise, den Gesundheitszustand, soziale und geografische Faktoren geprägt. Doch es geht noch weiter: auf und in unserem Körper existieren verschiedene Ökosysteme, die nicht viel miteinander gemein haben: im Darm, auf der Haut, im Mund herrscht jeweils eine andere Gemeinschaft von Mikrobenarten. Es gibt sogar einen Wechsel zwischen Tag und Nacht in der Zusammensetzung der Mikroben! Von Individuen kann man übrigens gar nicht reden, meint Ed Yong, denn jeder Körper ist eine Gemeinschaft mit Mikroorganismen. Der Originaltitel lautet dementsprechend: I contain Multitudes. Ich enthalte Vielheiten. Diese Untrennbarkeit ist auch das Credo des Autors:

Wenn wir essen, essen sie auch, wenn wir reisen, kommen sie mit. Wenn wir sterben, fressen sie uns auf. Jeder von uns ist sein eigener Zoo – eine Kolonie, die in einem einzigen Körper eingeschlossen ist. Ein Kollektiv zahlreicher Arten. Eine ganze Welt.

Ist das nicht ein faszinierender Gedanke, dass man niemanden als Einzelwesen betrachten kann? Wie groß der Einfluss dieser winzigen Gefährten auf uns ist, wie viele Aspekte unseres Lebens damit zusammenhängen, das erklärt Ed Yong mit bewundernswerter Leichtigkeit.

Dieses Buch wimmelt von packend erzählten Geschichten: über die urtümliche Mikrobe Sodalis, einen “Symbiont im Wartestand”, der auf das richtige Wirtstier lauert, über die Schnabelkerfe, also saugende Insekten wie die Blattläuse, die nur dank einer uralten Symbiose mit dem Bakterium Buchnera den Pflanzensaft optimal verwerten können, über Yongs Lieblingsmikrobe Wolbachia, ein Multitalent, das mit vielen Arten kooperiert, aber auch eigennützig das Fortpflanzungsverhalten seiner Wirte manipuliert und vielen sogar schadet, über das Potential von Exkrementen für die Gesundheit vieler Lebewesen. Wow, das alles ist zum Staunen!

Yong widmet sich auch den Gefahren durch übersteigerte Hygiene und die Verwendung zu vieler Antibiotika in der Landwirtschaft und Medizin. Dadurch werden viele nützliche Bakterien abgetötet. Doch er zeigt auch, wo es Hoffnung auf die Heilung von Krankheiten durch den Einsatz von Mikroben gibt. Erforscht wird zum Beispiel der horizontale Gentransfer bei Bakterien, der zur Produktion körpereigener Antibiotika bei manchen Wirten führt. Die Zukunft könnte in der Züchtung lebender Medikamente liegen, dem Einsatz von Probiotika wie Milchsäurebakterien, und Präbiotika, also Lebensmittelzusätze, die die Mikroben beeinflussen sollen. Der Eingriff ins Mikrobiom ist jedoch nicht ohne Risiken, daher muss hier noch intensiv weitergeforscht werden.

Uff – viel gelernt! Bei all den spannenden Informationen aus der Welt der Mikroben ist es fast zu verschmerzen, dass Ed Yong sich beim Menschen hauptsächlich um den Lebensraum Darm kümmert. Dessen Mikroben sind mit Abstand unsere wichtigsten Mitbewohner, denn sie helfen uns beim Zersetzen der Nahrung und schützen uns vor Krankheitserregern.

Winzige Gefährten von Ed Yong ist ein tolles, absolut faszinierendes Buch! Nach der erhellenden Lektüre fällt es leicht, die Mikroben als unverzichtbaren Teil unseres Lebens zu akzeptieren.

Ed Yong: Winzige Gefährten – Wie Mikroben uns eine umfassendere Ansicht vom Leben vermitteln
Aus dem Englischen von Sebastian Vogel
Antje Kunstmann Verlag 2018, 448 Seiten
ISBN 978-3-95614-232-1
Leseprobe – immerhin das komplette erste Kapitel!

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Nominiert als Wissensbuch des Jahres 2018 in der Kategorie Überblick

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3 Kommentare

  1. Ein sehr spannendes Thema…. eine tolle Rezension. Macht Lust auf das Buch.

  2. Pingback:Lieblingsbücher 2018 – Elementares Lesen

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