Gastbeitrag von Hans Siglbauer
Immer wieder und auch heute noch hören junge wie alte Menschen, dass Homosexualität etwas Unnatürliches sei. Entsprechend hoch ist für viele die Scham, sich selbst anzunehmen, zu sich und der eigenen Sexualität zu stehen – selbst wenn sie nicht der vermeintlichen »Norm« entspricht. Und auch wenn viele denken, dass im Deutschland des Jahres 2022 Homosexualität oder noch umfassender Queerness – also alle Formen der Sexualität, die nicht der vermeintlichen »heterosexuellen Norm« – doch eigentlich kein Problem mehr sein sollte.
Cheers, queers!
Leider ist dem nicht so. Und davon wissen viele, zu viele, Menschen zu berichten, so auch der aus Funk und Fernsehen bekannte Jochen Schropp, der hierüber gemeinsam mit Miriam Junge ein Buch geschrieben hat. Queer as f*ck – Selbstbestimmung, Sex und Sichtbarkeit – und warum ihr nicht so tolerant seid, wie ihr denkt ist bei echtEMF, einer Marke der Edition Michael Fischer, erschienen und gibt auf gut 160 Seiten einen kurzen Einblick in das Leben von queeren Menschen.
In fünf größeren Kapiteln – Outing, Identität, Diskriminierung, Sichtbarkeit und Sex (teils mit weiteren Unterkapiteln) – nähert er sich dem Leben als queerer Mensch und vor allem als schwuler Mann. Von Kindheitserinnerungen wie Mobbing in Schule und Schwimmbad, einem seine Augen öffnenden Austauschjahr in den USA, dem nicht ganz geglückten Coming-out gegenüber seiner Familie und seinem Umfeld erzählt er, wie schwer es für ihn und viele andere ist, erst einmal selbst diese nicht-heterosexuelle Identität für sich anzunehmen und sie offen zu kommunizieren. Gerade im funkelnden und vermeintlich so offenen Showbusiness sind Homosexualität und ein Coming-out jedoch ironischerweise häufig mit Problemen verbunden.
Schwulsein ist kein Zuckerschlecken
Denn – das wird im ausführlichen Kapitel „Diskriminierung“ deutlich – Nichtakzeptanz queeren Lebens gab es in seiner Jugendzeit in den 1990er- und 2000er-Jahren, aber es gibt sie auch noch heute – auch und vor allem in ländlichen Gegenden. Ob es der noch lange geltende § 175 StGB ist, die seit 2020 hierzulande auf Vorschlag eines gewissen Jens Spahn verbotenen und entehrenden Konversionstherapien sind, der Umgang vor allem der katholischen Kirche mit Homosexualität und Queerness, die Diskriminierung homosexueller Männer bei der Blutspende oder ganz alltägliche Homo- und Queerfeindlichkeit, Schropp stellt sehr plastisch dar, wie schwer ein schwules oder queeres Leben noch heute ist.
Er berichtet dabei teils schonungslos aus seinem eigenen Leben und legt auch manch pikantes Detail offen. Ob es das erduldete Mobbing in der Schule ist, die an die falsche Stelle zurückgespulte Porno-VHS der Eltern oder die verrutschte Webcam bei der Selbstbefriedigung, manche Erfahrungen dürften dem Autoren die Schamesröte ins Gesicht getrieben haben und haben dennoch eine gewisse Komik in sich. Allein das lässt Queer as f*ck ein Buch sein, bei dem wir vielfach mitfühlen und an mancher Stelle eben auch mitlachen können.
Schwuler Sex und queere Kultur
Schropp geht auch auf (vornehmlich schwulen) Sex ein. Dieser ist natürlich etwas anders als unter Heterosexuellen, aber eigentlich doch nicht so sehr. Am Ende sind es auch bei nicht-heterosexuellem Geschlechtsverkehr ebenfalls die Biologie und das Verlangen nach Befriedigung, die hier handlungstreibend sind. Selbstverständlich kann das hier keine wissenschaftliche Aufarbeitung von schwulem Sex sein, ganz im Gegenteil. Aber Schropp stellt hier sehr gut und eingängig dar, wie homosexuelles Begehren aussieht und dass es eben rein biologisch betrachtet gar nicht so unterschiedlich von heterosexueller Lust und Befriedigung ist.
Besonders erfreulich ist, dass Schropp auch immer wieder kleine Fragmente aus der queeren Kultur einstreut. Ob es der queer interpretierbare Disney-Film Luca ist, Serien wie Sex Education oder auch so manch queeres Buch (angeblich gibt es da ja eine Handvoll 😉), die queere Kultur hat viel zu bieten, was alles andere als Schmuddelcharakter hat (und selbstverständlich dennoch auch manch Schmuddliges). Aber auch vor Bedrückendem schreckt der Autor nicht zurück: Die verstörende und aufwühlende Dokumentation Achtung Lebensgefahr! – LGBT in Tschetschenien erwähnt er dankenswerterweise ebenso und gibt ein Beispiel für die schlimmste Form der Diskriminierung Homosexueller in der russischen Teilrepublik.
Ein bisschen Kritik…
Ein paar kleinere Punkte gibt es an seinem Buch dennoch zu kritisieren: Erstens scheint es an manchen Stellen vielleicht nicht ganz so in die Tiefe zu gehen, wie es das vielleicht tun sollte. Was schwules und queeres Leben in Deutschland betrifft, hat Schropp zwar meiner Einschätzung nach ein sehr gutes Auge und fasst dieses sehr gut zusammen. Dass es jedoch eine Mär ist, dass Pinguine ewig treu sind, da ist sich die Forschung mittlerweile halbwegs einig, wie wir bei Klemens Pütz und Dunja Batarilo oder sogar in dem ansonsten nicht sehr überzeugenden Band Das geheime Liebesleben der Pinguine erfahren.
Darüber hinaus sollten nicht alle Einschätzungen unreflektiert übernommen werden. Am Ende schreibt er beispielsweise über das – biologisch nachvollziehbare – Problem vieler homosexueller Paare, Kinder zu bekommen. Eines der schwächeren Kapitel übrigens, da es sich wie ein »Pflichtkapitel« anfühlt, das noch »abgearbeitet« werden muss. Jedenfalls bringt er auch die Möglichkeit einer Leihmutterschaft ins Spiel und klärt auf, dass diese ausgerechnet in Russland einfacher umsetzbar sei. Auch wenn er dies unter so manchen Vorbehalt stellt und selbst wenn diese Zeilen bereits vor Putins Angriffskrieg getippt worden sein sollten, ausgerechnet Russland hier hervorzuheben, hätte Schropp vielleicht noch einmal hinterfragen sollen.
Selbstrezeption des eigenen Werks?
Und ein letzter kritikwürdiger Punkt: Ich halte es für etwas schwierig, wenn Autorinnen oder Autoren sich und ihr Werk direkt selbst rezipieren. Schropp schreibt in seinem Vorwort, dass er beschloss »einen Ratgeber zu schreiben, der mir damals beim Finden meiner sexuellen Identität fehlte, weil es ihn so auf dem deutschen Markt noch nicht gab.« Und weiter unten: »Für dich, für mich, für uns und einfach alle – homo oder hetero! ‚Queer as f*ck‘ ist ein wertvoller Leitfaden.«
Meiner Einschätzung nach hat Schropp zwar recht behalten: Sein Buch erfüllt in der Tat diese Ansprüche, ist für junge Menschen, die auf der Suche nach ihrer sexuellen Identität sind, für Eltern, Angehörige, Freundinnen und Freunde, die mit einer Outing-Situation konfrontiert sind und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, eine wichtige Stütze. Dazu tragen übrigens auch die an quasi jedes Unterkapitel anschließenden vertiefenden Kurzinterviews mit der Psychologin Miriam Junge bei. Dennoch: Die Rezeption seines Buchs direkt im selbst verfassten Vorwort vorwegzunehmen kann am Ende auch schiefgehen.
Natürlich queer
Nichtsdestoweniger ist Queer as f*ck ein wunderbar anschauliches Buch, das die Leserinnen und Leser sehr gut über queeres und schwules Leben informiert. Jochen Schropp erzählt anhand seiner eigenen Erfahrungen sachlich fundiert und dennoch fesselnd, wie wenig unnatürlich Homosexualität und Queerness doch eigentlich sind – und schreckt dabei auch vor manch delikater Enthüllung oder humorvollen Elementen nicht zurück.
All denjenigen, die selbst mit ihrer Identität hadern oder denen, die mit dem Coming-out im Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis konfrontiert sind, erst einmal aber nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen – vielleicht sogar einen »natürlichen Abwehrreflex« bei sich konstatieren – sei Queer as f*ck daher wärmstens empfohlen, denn es hilft wirklich sehr gut, diesen doch sehr natürlichen Teil unserer Gesellschaft kennenzulernen.
PS: Laut Schropp hätte sein Buch eigentlich ein Kochbuch werden sollen. Wir warten gespannt hierauf – und verweisen in der Zwischenzeit auf die Kochbücher, die wir bei uns bereits besprochen haben. Und eines dreht sich sogar um »faggots« 😉.
Hans Siglbauer ist Politikwissenschaftler und Redakteur beim Magazin The little queer review.
Jochen Schropp/Miriam Junge: Queer as f*ck – Selbstbestimmung, Sex und Sichtbarkeit – und warum ihr nicht so tolerant seid, wie ihr denkt
EMF Verlag 2022, 192 Seiten
ISBN 978-3-7459-1087-2
Leseprobe
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