Juliane Bräuer: Klüger als wir denken

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In ihrem Buch Klüger als wir denken geht die promovierte Biologin und Tierforscherin Juliane Bräuer der Frage nach, ob Menschen den Tieren überlegen sind. Dazu wertet sie aktuelle Studien und Experimente zum Tierverhalten aus, die sowohl in Laboren, Zoos als auch im Freiland durchgeführt wurden. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass viele Eigenschaften, die wir als zutiefst menschlich betrachten, ebenso in der Tierwelt vorkommen.

Bräuer konzentriert sich dabei auf die kognitiven Fähigkeiten, das heißt solche, die sich mit dem Wahrnehmen und Erkennen der Umwelt beschäftigen. Diese Fähigkeiten wurden ebenfalls bei Menschen getestet und können so miteinander verglichen werden. Die meisten im Buch verwendeten Ergebnisse stammen aus der Primatenforschung, aber auch Hunde, Vögel, Erdmännchen, Wale und andere Tiere wurden getestet oder beobachtet.

Das Buch ist in zwei Schwerpunkte unterteilt:

Im ersten Teil geht es um die physikalische Kognition, womit das Verständnis der unbelebten Umwelt gemeint ist. Darunter fällt zum Beispiel die Fähigkeit, Werkzeuge herzustellen und zu benutzen. Diese ist im Tierreich erstaunlich ausgeprägt! So gibt es Krähen, die sich einen Draht genau so zurechtbiegen, dass sie damit an eine Nahrungsquelle gelangen. Die Komplexität der Werkzeuge reicht allerdings nicht an die von Menschen hergestellten Dinge heran.

Bei Hühnerküken wurde festgestellt, dass sie immerhin bis 5 zählen können! Andere Tiere sind in der Lage, Mengen und Gewichte richtig einzuschätzen. Buschhäher wissen, wann die von ihnen versteckte Nahrung verdirbt. Wenn sie etwas wiederfinden wollen, suchen sie nur nach dem, was noch frisch ist und nicht nach dem bereits Verdorbenen. Viele Primaten schneiden in Intelligenztests im Vergleich zu Kleinkindern relativ gut oder sogar besser ab. – Tiere ähneln uns also bezüglich ihrer physikalischen Kognition in weiten Teilen. Die Studienergebnisse waren wirklich verblüffend!

Der zweite und wichtigere Komplex beschäftigt sich mit der sozialen Kognition, also dem Verhältnis zwischen verschiedenen sozialen Lebewesen. In zahlreichen Feldstudien wurde untersucht, wie Tiere miteinander kommunizieren, ob sie über eine eigene Sprache und Kultur verfügen.

Obwohl Tiere aufgrund ihrer Anatomie nicht sprechen können (von Ausnahmen wie Papageien abgesehen), vermögen sie sich auf viele Arten zu verständigen: z.B. durch Gesten, Alarmrufe und mithilfe ihrer Körpersprache. Wenn es um Nahrung geht, gelingt es vielen Tierarten, z.B. Bienen durch ihren Schwänzeltanz, Informationen weiterzugeben. Und bei verschiedenen Vogelarten und bei den Walen gibt es Gesänge, die durch soziales Lernen verbreitet und variiert werden – eine Form von Kultur!

Bei Tests mit Primaten wurde festgestellt, dass sie ein Bewusstsein für die Wahrnehmung anderer Lebewesen besitzen. Sie können sich in gewissem Umfang in andere hinein versetzen und passen ihr Verhalten dementsprechend an. Spannend waren hier die Versuche zum Thema Hilfsbereitschaft. Diese ist gar nicht so selten, auch über Artgrenzen hinweg, dient aber letztlich vor allem dem eigenen Nutzen oder  dem der Gruppe. Nicht nur bei den Erdmännchen gibt es Lehrer, die den Nachwuchs schulen und so das Überleben der Art sichern! Das sind Eigenschaften, die man nicht unbedingt von Tieren erwartet!

Das Sozialverhalten ist also bei vielen Tierarten sehr ausgeprägt. Menschen kooperieren aber insgesamt mehr miteinander, da sie im Laufe der Evolution stärker aufeinander angewiesen waren.

Eine Eigenschaft hat man bei Tieren nicht feststellen können, nämlich das Bedürfnis nach Rache. Da haben sie uns eindeutig etwas voraus.

Um all die genannten Eigenschaften zu testen, müssen die Forscher sehr einfallsreich sein. Juliane Bräuer schildert die aberwitzigsten Experimente. Schimpansen lernen dabei Touchscreens zu bedienen, Graupapageien werden an arabische Ziffern gewöhnt und Hunde erlernen Wörter und Symbole für bestimmte Gegenstände. Im Buch werden die Versuchsanordnungen äußerst präzise beschrieben und teils mit Grafiken von Alex Chauvel verdeutlicht.

Immer wieder stellt sich die Frage, ob die Ergebnisse auch richtig interpretiert werden. Juliane Bräuer macht deutlich, dass wir trotz der vielen Studien nur ein beschränktes Bild von den Fähigkeiten der Tiere besitzen. Sie reflektiert die künstlichen Testsituationen, die von der natürlichen Lebenswelt der Tiere oft weit entfernt sind. Da wir die Tiere nicht befragen können, bewerten wir sie mit unserem menschlichen Maßstab. Und der wird den Tieren oft nicht gerecht.

Wir müssen anerkennen, dass viele der als typisch menschlich geltenden Fähigkeiten auch in der Tierwelt zu finden sind. Fehlende Fähigkeiten wiederum können nicht als mangelnde Klugheit gedeutet werden. Tiere verfügen über genau die Fähigkeiten, die sie in ihrer unmittelbaren Lebenswelt benötigen und nutzen diese sehr effizient. Viele dieser Fertigkeiten haben sie im Laufe der Evolution entwickelt, andere sind Anpassungen an individuelle Lebensbedingungen, so wie bei uns Menschen auch.

In ihrem Buch Klüger als wir denken bietet Juliane Bräuer einen kurzweiligen und sehr gut verständlichen Einblick in die spannende Forschungsarbeit mit Tieren. Wir haben gerade erst begonnen, Tiere besser zu verstehen und lernen gleichzeitig etwas über uns Menschen. Eine sehr anregende Lektüre!

Juliane Bräuer: Klüger als wir denken – Wozu Tiere fähig sind
Springer Spektrum 2014, 312 Seiten mit 32 Abbildungen
ISBN 978-3-642-41689-7
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6 Kommentare

  1. Schöne Besprechung, spannendes Buch. Wer auf die Leipziger Buchmesse kommt, hat die Gelegenheit, Juliane Bräuer live zu erleben. Programm von „Leipzig liest“ ab 12. Februar hier: http://www.leipziger-buchmesse.de/Leipzigliest/

  2. Fast noch spannender als die Forschungsergebnisse finde ich ja die Forschungsdesigns. Es hört sich ja schon sehr „kreativ“ an, was die Forscher sich einfallen lassen (müssen), um einer Fragestellung auf den Grund zu gehen.
    Viele Grüße, Claudia

  3. Pingback:Vorfreuden für Leseratten III – Frühjahr 2014 – Elementares Lesen

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