Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit

Harari Kurze Geschichte der Menschheit

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Bereits seit Monaten habe ich dem Erscheinen dieses Buches voller Vorfreude entgegengefiebert dank einer kurzen Leseprobe, die mir sehr gut gefallen hat. Mein erster Eindruck: äußerst vielversprechend mit originellen, zugespitzten Formulierungen. Nun sind mehr als 500 Seiten über die Geschichte der Menschheit endlich gelesen. Die zentrale Frage des israelischen Historikers Yuval Noah Harari lautet: Ist der Homo sapiens die Krone der Schöpfung oder der Schrecken des Ökosystems? Um eine Antwort zu finden, hat der Autor die letzten 70.000 Jahre betrachtet und die Geschichte in 3 große Abschnitte unterteilt: die kognitive Revolution, die landwirtschaftliche und die wissenschaftliche Revolution.

Die kognitive Revolution begann vor etwa 70.000 Jahren mit der zufälligen Entwicklung der Sprache. Durch diese Fähigkeit hob sich der Homo sapiens von anderen Tieren und Menschenartigen ab und war in der Lage, besser zusammen zu arbeiten und gemeinsame, verbindende Mythen zu entwickeln. Schon damals begannen die Menschen mit der Ausrottung vieler Tierarten, die sie als Beute jagten.

Die landwirtschaftliche Revolution vor ca. 11.500 Jahren läutete die Domestizierung von Tieren und Pflanzen in verschiedenen Regionen der Erde ein. Laut Harari hat die bäuerliche Lebensweise für die Menschen trotz ausreichender Nahrung und größerer Anzahl an Nachkommen keine Verbesserungen gebracht, sondern eine härtere, einseitige Lebensweise und den Teufelskreis der Abhängigkeit von klimatischen Verhältnissen. Wo z.B. Weizen angebaut wurde, entstand eine tiefgreifende Abhängigkeit von den Bedürfnissen dieser Pflanze. Die Domestizierung von Tieren geschah oft mit Gewalt unter Verleugnung der tierischen Instinkte und Bedürfnisse. In dieser Epoche entstanden immer größere Gemeinschaften, die zu Städten und später zu großen Imperien heranwuchsen. Die Menschen definierten sich über eine gemeinsame Kultur, bildeten Wertegemeinschaften. Über diese Großgruppen hinaus entstand der globale Warenverkehr, der die Grenzen unterschiedlicher Weltanschauungen überwand. Geld als überall gültiges Tauschmittel wurde zum entscheidenden Faktor.

Vor etwa 500 Jahren begann die wissenschaftliche Revolution, welche laut Harari die folgenschwerste war, da sie in letzter Konsequenz über das Schicksal der Menschheit und des Lebens auf unserem Planeten entscheiden wird. Es war die Zeit der Entdeckungen und Eroberung neuer Gebiete, das Zeitalter der Industrialisierung sowie der Erfindung neuer Technologien unter der Dominanz des Westens. Auch in dieser Phase sorgte der Fortschritt nicht nur für eine Erleichterung der Lebensbedingungen. Ausbeutung, Sklaverei und Verelendung waren die Folge für große Teile der Bevölkerung zum Nutzen der herrschenden, nach Profit strebenden Eliten.

Wissenschaft und Fortschritt haben den Menschen ungeahnte Möglichkeiten eröffnet, doch sind sie in der Lage, verantwortungsbewusst damit umzugehen? In unserer modernen Gesellschaft können wir der Evolution ein Schnäppchen schlagen und die natürliche Entwicklung dank des medizinisch-technischen Fortschritts manipulieren. Aber wo führt uns das hin? Sind die Menschen glücklicher als in früheren, entbehrungsreichen Zeiten? Das ist offensichtlich nicht der Fall! Niederschmetternd ist Yuval Noah Hararis Diagnose über die Konsequenzen der drei Revolutionen: in all den Jahrtausenden haben wir Menschen barbarische Kriege geführt, unsere natürliche Umwelt weitgehend zerstört, Wälder gerodet, Pflanzen- und Tierarten ausgerottet, Massentierhaltung eingeführt und uns dem Konsumismus zugewandt. Unser Planet ist „eine Mischung aus Einkaufszentrum und städtischer Müllkippe“.

Trotz all der Zerstörung leben wir aber auch in einem relativ friedlichen Zeitalter, wo es weniger Gewalt gibt als in früheren Epochen und Kriege für viele Menschen unvorstellbar geworden sind. Wie wir uns in Zukunft angesichts unserer Fähigkeiten zur Manipulation von Mensch und Natur weiterentwickeln, ist unklar. Da kann auch die Geschichtswissenschaft keine Antwort geben, denn

Geschichte ist keine Naturwissenschaft wie Physik oder Chemie, und wir studieren sie nicht, um Vorhersagen über die Zukunft zu treffen. Wir beschäftigen uns mit ihr, um unseren Horizont zu erweitern und zu erkennen, dass unsere gegenwärtige Situation weder unvermeidlich noch unveränderlich ist, und dass wir mehr Gestaltungsmöglichkeiten haben, als wir uns gemeinhin vorstellen.

Was dieses Buch nicht ist: eine Chronologie der Geschichte, eine Aufzählung der verschiedenen Reiche und ihrer Herrscher, die die Welt dominiert haben, ein Nachschlagewerk über die Epochen.

Stattdessen wird die Geschichte in global gültige Abschnitte unterteilt, Themenkomplexe, in denen die Chronologie keine große Rolle spielt, in denen der Autor immer wieder Bezüge zur Gegenwart herstellt. Harari meidet komplizierte Formulierungen. Sein Stil ist durchweg flüssig, unakademisch und leicht lesbar. Geschichte ist immer eine Deutung im Rückblick. In diesem Buch werden verschiedene Deutungsmöglichkeiten nebeneinander gestellt, wobei es keinen Anspruch auf historische Wahrheit gibt! Das fand ich sehr erfrischend.

Durch Bücher wie das vorliegende können wir viele neue Fragen stellen und Zusammenhänge aus ungewohntem Blickwinkel kennenlernen. Es liefert eine Fülle von Denkanstößen, die sich erst nach und nach verarbeiten lassen. Kein Wunder, dass sein Buch mehr als 100 Wochen lang die israelische Sachbuch-Bestsellerliste angeführt hat.

Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit
Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer
DVA 2013
ISBN 978-3-421-04595-9 gebunden
ISBN 978-3-570-55269-8 Paperback 2015

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15 Kommentare

  1. Eine sehr schöne Besprechung! Danke dafür. Das Buch liegt auch schon auf meinem Lesestapel, aber jetzt werde ich es vorziehen.

  2. Stimme mit der Begeisterung völlig überein. Eines der besten Sachbücher, die ich kenne. Habe es schon dreimal verschenkt bzw. aufgedrängt. (Bücher verschenken ist ja eigentlich eine ziemliche Zumutung, denn man verlangt dem Beschenkten doch eine Menge Lebenszeit ab. Aber anderseits sind sie ja auch recht dekorativ. ) Harari hat auch mich sehr fasziniert und nachdenklich gemacht: http://thomasbrasch.wordpress.com/2014/02/24/kurze-geschichte-zum-langen-nachdenken/ (Mit Bloggen und Kommentieren verhält es sich ja auch so zweischneidig, wie mit Buchgeschenken.)

    • Wie schön, dass du meine Einschätzung teilst. Dieses Buch hat so viel zu bieten, dass ich ihm möglichst viele Leser wünsche. Deine Rezension hat mir ebenfalls sehr gut gefallen!
      Das Bloggen und Bücher verschenken haben eine missionierende Komponente, die ich bei dir auch herauslese. Stimmt`s?

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  8. In meiner Schule bestand der Geschichtsunterricht aus bloßem Jahreszahlen lernen. Entsprechend begeistert war ich damals von diesrm Fach. Das Buch “Eine kurze Geschichte der Menschheit” have ich trotzdem verschlungen. Auch wenn ich jetzt erst drauf gestoßen bin.
    Der Autor hat einen super Schreibstil. Häufig muss man amüsiert grinsen. Die veränderte Perspektive und Sichtweise macht Spaß.
    Ich kann das Buch jedem empfehlen. LG Micha

    • Freut mich, dass du von Harari auch so begeistert bist! In der Schule hat mich Geschichte ebenfalls nicht besonders gepackt. Aber mit dem richtigen Buch, das unterhaltsam und verständlich erklärt, ist das was ganz anderes. Ich bin immer auf der Suche nach solchen Büchern.
      Liebe Grüße, Petra

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