Susanne Dohrn: Das Ende der Natur

Cover Dohrn Ende Natur

Ch. Links

Wer kennt noch die Mohn-Mauerbiene, den Lämmersalat oder die Bekassine? Diese Arten waren einst weit verbreitet in deutschen Kulturlandschaften. Mittlerweile sind sie hier vom Aussterben bedroht. In ihrem aufschlussreichen Buch Das Ende der Natur – Die Landwirtschaft und das stille Sterben vor unserer Haustür zeigt die Journalistin und promovierte Historikerin Susanne Dohrn, wie die Intensivierung der Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten zu einem dramatischen Verlust der Artenvielfalt führte.

Ausgehend von Kindheitserinnerungen und aktuellen Beobachtungen analysiert Dohrn systematisch die Veränderungen wichtiger Lebensräume: Hecken und Grünstreifen, Feuchtwiesen, Weideflächen und Moore fielen der Landwirtschaft zum Opfer. Mehr als die Hälfte unserer Landesfläche wird inzwischen landwirtschaftlich genutzt. Die Landwirte vergrößern stetig ihre Anbauflächen, beseitigen Ackerwildkräuter und überdüngen die Felder mit Gülle. Statt einer Vielfalt an Feldfrüchten wachsen heute vermehrt Mais, Raps und Wintergetreide zur Biogas-Erzeugung und als Futter für die Massentierhaltung – das alles in riesigen Monokulturen, die die Böden auslaugen. Wertvolle Biotope sind verschwunden. Der Naturschutz wird der Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge untergeordnet. So lautet die Anklage der Autorin.

Durch die Veränderung der Landschaftsformen verlieren Tiere und Pflanzen ihren Lebensraum. Wo Ackerwildkräuter bekämpft werden, fehlt es an Nahrung für Insekten und Vögel. Susanne Dohrn verdeutlicht die bedrohte Situation von Kiebitzen und anderen Wiesenvögeln, die ihre Brutplätze verlieren. Sie erklärt, dass Amphibien, zum Beispiel Kröten, durch Trockenlegung von kleinen Gewässern und den Einsatz von Düngemitteln gefährdet sind. Außerdem sprach sie mit zwei Insektenforschern des Entomologischen Vereins Krefeld, die an einer Studie zum dramatischen Rückgang der Insekten beteiligt waren. Das Ergebnis sorgte kürzlich für großes Aufsehen in der Öffentlichkeit (beispielhaft dieser Artikel in der Süddeutschen Zeitung), denn es wurde ein Rückgang von rund 75 % der Insekten-Biomasse seit Beginn der Studie vor 27 Jahren festgestellt! Die Ursachen müssen noch gründlich erforscht werden, doch der intensive Einsatz von Insektiziden, vor allem Neonicotinoiden, in der Landwirtschaft dürfte eine wichtige Rolle spielen.

Die Autorin prangert in Das Ende der Natur eine verfehlte Agrarpolitik an, die sich zwar den Naturschutz auf die Fahnen schreibt, aber viele Ausnahmen für die Landwirtschaft zulässt. Ungestraft werden aggressive Unkrautvernichtungsmittel wie Glyphosat eingesetzt, zu viel Düngemittel belasten die Böden und unser Trinkwasser. Der Einsatz von Herbiziden und Pestiziden bedroht nicht nur die Tier- und Pflanzenwelt, sondern gefährdet auch die Gesundheit der Menschen. Profiteure dieses Systems sind nicht etwa die Landwirte, sondern vor allem die Agrar- und Lebensmittelindustrie.

Was kann man tun gegen das drohende Ende der Natur? Susanne Dohrn, die sich auch für den Umweltschutz in ihrer Heimatstadt Tornesch engagiert, fordert ein Umdenken in der Agrarpolitik – mit konsequentem Naturschutz, Förderung einer extensiven, schonenden Landwirtschaft, einer Umverteilung der Gelder weg von den Großbetrieben und dem Kampf gegen den Lobbyismus in der Agrarindustrie.

Doch es gibt auch Hoffnungsschimmer. Susanne Dohrn war mit vielen Experten aus Naturschutz, Forschung und Landwirtschaft unterwegs, um sich in Feld und Flur zu informieren. Sie berichtet von Projekten zum Schutz von Ackerwildkräutern, der erfolgreichen Renaturierung von Mooren und einem Landwirt, der sich dem Schutz der Trauerseeschwalbe verschrieben hat. Auf ihrem Grundstück hat die Autorin als Signal, dass es auch anders geht, eine Wiese mit Wildblumen angelegt – Magnet für viele Insekten und Vögel. Deren Entwicklung dokumentiert sie in ihrem lesenswerten Blog Meine kleine Wiese.

Dieses Buch ist ein engagiertes Plädoyer für den Schutz der Artenvielfalt! Besonders gut gefiel mir die Kombination aus harten Fakten, Naturerlebnissen und interessanten Exkursionen. Alles ist klar und verständlich im Reportage-Stil formuliert. Wer verstehen will, was falsch läuft in Landwirtschaft und Agrarpolitik und wie man es besser machen kann, sollte dieses Buch lesen!

Susanne Dohrn: Das Ende der Natur – Die Landwirtschaft und das stille Sterben vor unserer Haustür
Christoph Links Verlag 2017, 272 Seiten
ISBN 978-3-86153-960-5 Paperback
ISBN 978-3-451-03170-0 Taschenbuch
Leseprobe

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Nominiert als Wissensbuch des Jahres 2018 in der Kategorie Zündstoff

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9 Kommentare

  1. Fingerphilosoph hat in seinem vorletzten Beitrag
    https://fingerphilosoph.net/2017/10/21/insektensterben/
    das Insektensterben vor allem dem Ausbau der Mobilfunknetze zugeschrieben.

    was WIR machen, ist einfach das maximale aus dieser Erde rauspressen.

  2. Als Besitzerin einer wunderbar wuchernden Wildblumenwiese – jahrelang skeptisch beäugt von der dörflichen Nachbarschaft – freue ich mich, dass endlich im Mainstream Akzeptanz für derartigen Wildwuchs entsteht. Bin mal wieder fündig geworden. Danke.

  3. Natur endet dort. wo Natur beginnt.
    Natur beginnt dort, wo der Mensch nicht versteht, was er verloren hat, als die Natur endete.

    https://guidovobig.com/2017/04/20/die-andere-therapeutin/

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  7. Hallo, findest du, dass sich dieses Buch noch lohnt, wenn man Jan Hafts „Die Wiese“ gelesen hat? In wiefern unterscheidet es sich davon? Lg, Kathrin

    • Liebe Kathrin, ich finde, es lohnt sich, beide Bücher zu lesen, auch wenn sie in vielen Aspekten übereinstimmen. In Jan Hafts Buch Die Wiese stehen das schwärmerische Naturerlebnis und seine Beobachtungen als Naturfilmer im Vordergrund. Susanne Dohrn argumentiert sachlicher und bietet andere Beispiele, vorwiegend aus Nord- und Ostdeutschland, während Jan Haft vieles aus seiner bayerischen Heimat berichtet. Dohrns Buch ist klarer strukturiert und enthält ein Register mit allen erwähnten Tier- und Pflanzenarten. Das hat mir beim Buch von Jan Haft gefehlt. Die Wiese hat dafür einen wunderbaren Fototeil.
      Beide erläutern sehr gut die ökologischen Zusammenhänge und fordern ähnliche Maßnahmen für den Naturschutz. Und beide erzählen spannend, wie sie sich persönlich engagieren. Man kann sich von beiden etwas abgucken.

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