Johns Hands: Cosmosapiens

Feldzug gegen “die herrschende Lehre”

Cover Hands Cosmosapiens

© Knaus

Mehr als zehn Jahre hat der britische Chemiker John Hands recherchiert, um die Entstehungsgeschichte des Menschen bis zum Beginn des Universums zurückzuverfolgen. In seinem 880 Seiten starken Buch Cosmosapiens – Die Naturgeschichte des Menschen von der Entstehung des Universums bis heute versammelt er die Erkenntnisse der Naturwissenschaften zur Entstehung von Materie, Leben, der Menschheit und unseres Bewusstseins, nur um sie Stück für Stück wieder auseinander zu pflücken. Denn eigentlich ist sein Buch keine Naturgeschichte des Menschen, wie der Untertitel behauptet. Kein Buch über das, was wir wissen, sondern über die Irrtümer der Wissenschaft und die Begrenzungen des Wissenschaftsbetriebs.

Big-Bang-Theorie

Zunächst nimmt sich Hands das anerkannte Modell für die Entstehung des Universums vor: die Big-Bang-Theorie. Doch schnell gelangt er zu der Erkenntnis, dass der Urknall als Beginn des Universums nicht schlüssig ist. Ein generelles Problem der Kosmologie seien nämlich die mangelnde Überprüfbarkeit ihrer Theorien, falsche Grundannahmen über das Alter des Universums, unzureichende Daten, falsche Schlussfolgerungen, die Vernachlässigung kritischer Meinungen, kurzum: die Dominanz der “herrschenden wissenschaftlichen Lehre”. Hands kritisiert, dass die Beschäftigung mit alternativen Theorien gar eine wissenschaftliche Karriere verhindere. Es herrsche Konformitätszwang im Wissenschaftsbetrieb, da werde alles dem herrschenden Paradigma des Urknalls unterworfen. Für Querdenker sei da kein Platz. Bei seinem Feldzug gegen die etablierte Kosmologie vergleicht Hands sie sogar mit einer Religion:

Inzwischen tendiert die herrschende Kosmologie dazu, sich weniger wie eine Wissenschaft und mehr wie eine Religion zu verhalten, die bei ihren Reaktionen auf Abweichler im Inneren und Ungläubige von außerhalb gerade noch auf die Anwendung körperlicher Gewalt verzichtet.

Das hält John Hands natürlich nicht davon ab, Theorien solcher Abweichler vorzustellen, doch können sie seiner Meinung nach gleichfalls nicht den Beginn des Universums erklären.

Evolutionstheorie

Ebenso kritisch hat John Hands die gängigen Erklärungen zur Entstehung des Lebens unter die Lupe genommen. Auch die Evolutionstheorie krankt an unzureichenden Daten. Fehlende Fossilfunde und stark veränderte Sedimentgesteine vernebeln den Ursprung des Lebens. Bis heute gibt es noch nicht einmal eine verbindliche Definition für das Phänomen Leben. Hands kommt zu dem Schluss, dass es daher wohl niemals möglich sein wird, den Beginn des Lebens genauer zu erforschen. Die weitere Entwicklung macht es der Forschung aufgrund von genügend Funden und ausgefeilter Analyseinstrumente leichter, doch auch hier gebe es eine Dominanz der “herrschenden Lehre”, in diesem Fall des Neodarwinismus, der andere Erklärungsansätze unterdrücke. Für die Lebenswissenschaften hat der Autor immerhin eine höhere Sympathie als für die Astronomie und Physik. Doch ausgerechnet als es spannend wird – beim letzten gemeinsamen Vorfahren aller Lebewesen, zeigt sich eine verbreitete Schwäche des Buches: einzelne Aspekte werden nur kurz und knapp abgehandelt und wie schon zuvor wird mehr definiert als erklärt. Schade!

Abbruch der Lektüre

Wo John Hands´ kritischer Geist anfangs noch erfrischend wirkte, machte sich bald eine lähmende Monotonie breit. Der rechthaberische Stil ging mir auf die Nerven. In vielen knappen Kapiteln geht der Autor in die Breite statt in die Tiefe und referiert, statt zu erklären. Nach der Hälfte des Buches war ich mit meiner Geduld am Ende und habe die Lektüre abgebrochen! John Hands´ scharfzüngige Kritik am Wissenschaftsbetrieb finde ich wichtig, doch sie wird endlos variiert und wurde offenbar zum Selbstzweck.

Die bisherigen Theorien zur Entstehung des Universums und zur Entstehung des Lebens sind sicher nicht der Weisheit letzter Schluss, aber das ist kein Grund, daraus eine Unerklärbarkeit abzuleiten. Diese Theorien basieren auf gewachsenen Erkenntnissen und man kann mit ihnen arbeiten. Neue Methoden und neue Erkenntnisse können sie umstoßen, so wie es auch bisher in der langen Geschichte der Wissenschaft immer wieder geschah. Nichts ist in Stein gemeißelt.

Fazit

Akribisch hat sich John Hands in die verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen eingearbeitet. Cosmosapiens – Die Naturgeschichte des Menschen von der Entstehung des Universums bis heute ist das Ergebnis einer ungeheuren Fleißarbeit. Zu einer Darstellung des gegenwärtigen Wissens über die Naturgeschichte des Menschen gehören natürlich auch die Kontroversen und offenen Fragen, doch mir ist die Darstellung zu sehr in Richtung selbstgerechtes Hinterfragen abgerutscht. John Hands´ kritische Auseinandersetzung mit den Hypothesen, Theorien und Wissensbeständen las sich eher wie ein Feldzug gegen die etablierte Wissenschaft. Für Leser ohne Vorkenntnisse ist Cosmosapiens – Die Naturgeschichte des Menschen von der Entstehung des Universums bis heute trotz eines Glossars und vieler Definitionen ungeeignet, da es nicht erklärt, sondern im trockenen Stil eines Buchhalters zusammenträgt. Da bleibt das Lesevergnügen bald auf der Strecke. Was John Hands macht, ist wichtig, doch es entspricht nicht den Erwartungen, die Titel und Untertitel wecken. Ich bin erstaunt, dass dieses Buch so hoch gelobt wurde, dass der Autor gar zum Universalgenie stilisiert wird. Für mich war Cosmosapiens eine Enttäuschung.

Johns Hands: Cosmosapiens – Die Naturgeschichte des Menschen von der Entstehung des Universums bis heute
Aus dem Englischen von Helmut Reuter
Knaus Verlag 2017, 880 Seiten
ISBN 978-3-8135-0757-7 gebunden
ISBN 978-3-570-55376-3 Paperback
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20 Kommentare

  1. Ich finde es immer wieder erfrischend, auch mal eine gut begründete Nicht-Buchempfehlung zu lesen! Herzlichen Dank für diese fundierte Kritik!

  2. Oha.

    Zitat
    “Es herrsche Konformitätszwang im Wissenschaftsbetrieb, da werde alles dem herrschenden Paradigma des Urknalls unterworfen. Für Querdenker sei da kein Platz. Bei seinem Feldzug gegen die etablierte Kosmologie vergleicht Hands sie sogar mit einer Religion:

    Inzwischen tendiert die herrschende Kosmologie dazu, sich weniger wie eine Wissenschaft und mehr wie eine Religion zu verhalten, die bei ihren Reaktionen auf Abweichler im Inneren und Ungläubige von außerhalb gerade noch auf die Anwendung körperlicher Gewalt verzichtet.”

    Starker Tobak, klingt nach verschmähtem Liebhaber. So schreiben Crackpots, die mit ihren eigenen unausgegorenen Thesen nicht ernst genommen wurden. Und das meist aus gutem Grund.

    Über Generationen ausgearbeitete & verfeinerte Theorien wie die des Urknalls oder der Evolution wischt man nicht mal eben beiseite. Ich habe mittlerweile viele Diskussionen dieser Art verfolgt. Die von dir angerissenen Gegenargumente, die er in seinem Buch bringt, kommen mir bekannt vor. Ich bin sicher, sie sind alle längst zigmal widerlegt.

    Danke für die klare Kante bei dieser Rezension!

    Grüße
    Dampier

    • Viele der vom Autor kritisierten Punkte waren gut begründet und nachvollziehbar. Ob sie auch berechtigt sind, ist für mich als Fachfremde allerdings nicht klar. In der schieren Summe klingt es wirklich nach verschmähter Liebe. Und bessere Theorien hat er leider auch nicht anzubieten.

      • Ja, man muß auf den Punkt kommen: Dekonstruktion und dann Synthese.

        • Die bleibt er uns leider schuldig.

          • Hat er es (tatsächlich) versprochen, abgesehen vom Titel?
            Vor 2 Jahren habe ich ja “Arrival of the fittest” gelesen und da hat ein Rezensent gemeint, daß der Autor nicht genau beschrieb, wie “gerichtete Evolution” nun wirklich aussähe. Wagner gab nur Hints und Ideen zum besten, konnte aber natürlich nicht den Key zu allem ausweisen, wie sollte das auch gehen?

          • Wagner hat in “Arrival of the Fittest” eine Menge aus seiner eigenen Forschung erzählt, aber mir war es teils zu kompliziert, zu chemie-lastig. Demnächst lese ich “Glücksfall Mensch – Ist Evolution vorhersagbar?” von Jonathan Losos. Mal sehen, was dort über Evolution zu erfahren ist.

          • Und ich lese gerade ein ausgezeichnetes Buch über Mimikry, mir von einem Doktor der Biologie empfohlen und zum Geburtstag geschenkt: Warnen, Tarnen, Täuschen, von Klaus Lunau. (WBG-Wissen verbindet)
            Es geht recht tief, offenbar der State of art von dieser Thematik?!

  3. Die Kritik am Wissenschaftsbetrieb kommt mir bekannt vor. Das hat Kuhn in seinem Modell zum Paradigmenwechsel für den Bereich der Physik und Chemie schon Ende der 50er gut auf den Punkt gebracht. Die Herrschende Theorie kommt daher wie eine Diktatur, die alles andere unterdrückt, dann gibt es einzelne Dissidenten und irgendwann kippt die Theorie, wenn sie unhaltbar geworden ist, und eine neue Theorie gewinnt oberhand, die dann wieder mit Geld und Posten versehen wird und sich wieder wie eine Diktatur verhält…
    Danke für deine schonunglose Kritik. Denn Bücher, die eine grundlegende neue Erkenntnis über alles und jeden versprechen ziehen mich magisch an.

    • Das ist der Punkt, der mich auch am Buch gestört hat: der Eindruck vom Wissenschaftsbetrieb als einer Diktatur. Auch wenn Hands sicher nicht mit allem falschliegt, was er kritisiert.

  4. Wie schade! Aber das klingt sehr unersprießlich, zumal für den naiven Laien wie ich einer bin, der mal eben die Antwort auf die Frage der Frage haben und gleichzeitig gut unterhalten sein möchte… Wie heißt das elfte Gebot der Autoren: “Du sollst nicht langweilen”…

    • Der Unterhaltungswert sank leider stetig, und das trotz der packenden Themen. Ich war wirklich guten Willens – hach!

  5. Schön auch mal zu lesen, dass frau sich das Lesen sparen kann.
    Und danke für die lockende Rezension zu Leben, ich habe es mir gegönnt, leider kann ich noch keine eigene positive Rückmeldung dazu geben, aber mein Jüngster, der es sich grapschte ist sehr fasziniert.

  6. Wenn ich das richtig verstanden habe, kritisiert Hands alles und jeden, schlägt aber selber keinen konstruktiven Weg ein? Nun, Wissenschaft sollte hinterfragt werden und zwar ständig. Aber daraus ein Buch zu machen, klingt nach Hetze, oder, wie oben schon erwähnt, nach verschmähtem Liebhaber.
    Danke für die Warnung!

  7. Ich hatte das Buch auch in den Händen.
    Viele wollen heutzutage alles Mögliche vom Ursprung der Welt ableiten, so mein Gedanke, also kaufte ich es nicht.

  8. Hallo Petra.
    Danke für dein Lesen und Beschreibung bis zum Abbrechen. Interessant für mich ist immer noch der Beginn des Lebens auf unserem Planeten. Das meiste Grundwissen in diesem Wissensgebiet hat mir da Eugen Drewermann vermitteln können. Mit 4 Bänden seiner Folge „Glauben in Freiheit“. Wenn es auch manchmal sehr hart war die vielen tausend Seiten zu lesen. Aber wie gesagt er hat meine Gedanken bereichert. Meine Meinung vom Universum ist, es gab nach menschlichem Denken nie einen Anfang. Beste Ostergrüße aus dem Gebirge.

    • Zumindest ist es irrsinnig kompliziert, diesen Anfang zu erforschen – sowohl den Beginn des Lebens auf der Erde als auch den Anfang von Raum und Zeit! Aber es ist doch spannend, dass weiter daran gearbeitet wird. Auch Theorien, die sich als falsch erweisen, können Denkanstöße liefern. Und wer weiß, vielleicht kommen wir ein paar Schritte weiter auf dem Weg zur Erkenntnis.

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