Madarejúwa Tenharim/Thomas Fischermann: Der letzte Herr des Waldes

Cover Tenharim Letzte Herr Waldes

© C. H. Beck

Die Transamazônica ist eine mehr als 4.000 km lange Fernstraße, die mitten durch Brasilien führt. Mit dem Bau in den 70er Jahren begann eine gigantische Zerstörung des Regenwaldes im Amazonasgebiet. Und nicht nur das – die Straße durchschneidet auch das Stammesgebiet der Tenharim, eines indigenen Volkes, dessen Bestand von einst 10.000 auf etwa 900 Individuen geschrumpft ist. Der deutsche Journalist Thomas Fischermann reiste erstmals 2013 im Auftrag der ZEIT in dieses Gebiet, um über Kämpfe zwischen dort ansässigen indigenen Völkern und Holzfällern zu berichten. Seine Recherchen führten ihn zu den Tenharim, deren Anführer des Mordes an einigen Siedlern beschuldigt wurden.

Sie sehen sich als Hüter des Waldes, können aber dessen Abholzung nicht verhindern. Sie gelten als Menschenfresser und äußerst grausame Krieger. Doch der deutsche Journalist lernte die Tenharim von einer anderen Seite kennen. Er gewann ihr Vertrauen und wurde von einem jungen Krieger des Stammes namens Madarejúwa in ihre Geschichte, ihre geheimen Bräuche und ihr besonderes Verhältnis zum Wald eingeweiht.

In seinem Buch Der letzte Herr des Waldes lässt Fischermann den jungen Madarejúwa zu Wort kommen. Aus der Ich-Perspektive erfahren wir, wie das Eintreffen der „Weißen“ das Leben seines Volkes veränderte. Madarejúwa teilt sein Wissen mal bereitwillig, mal zögerlich mit dem Journalisten – immer bemüht, nur das zu verraten, was ihm gestattet ist und was die Außenwelt erfahren darf. Er reist mit ihm tief in den Urwald. Um ein guter Jäger zu werden und dort zu überleben, musste Madarejúwa sich an die Bisse von Ameisen gewöhnen. Er lernte, die Spuren der Tiere zu lesen. Nicht nur mit seinem phänomenalen Wissen über die Pflanzenwelt verblüfft er Fischermann. Er zeigt ihm, vor welchen Schlangen man sich in Acht nehmen muss und welche Tiere gejagt werden dürfen. Dem Wald wird nur so viel entnommen, wie man benötigt! Es ist ein fast archaisches Leben voller Respekt im Umgang mit der Natur.

Doch die Gegenwart macht vor Madarejúwa und seinem Volk nicht Halt. Sie kaufen Lebensmittel und Kleidung in den Städten, benutzen Handys und besuchen Kinos und öffentliche Schulen. Gleichzeitig versuchen sie ihre Kultur zu bewahren, ihre Heilkunst und ihr tiefes Verständnis für die Natur. Diese Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne wird durch Madarejúwas Schilderungen nachvollziehbar.

Vor allem die Transamazônica brachte Fremde ins Land der Tenharim. Es kamen Holzfäller und Goldsucher, Siedler und Rinderzüchter, mitsamt ihren bisher unbekannten Krankheiten, die fast 90 Prozent des Stammes auslöschten. Die „Weißen“ werden von ihnen äußerst kritisch gesehen:

Kikí … sagt, dass die Weißen uns schwächer machen. Er sagt, dass die Weißen krank sind und die Welt anstecken, dass sie selbst eine Krankheit sind. Sie tragen die Zerstörung in den Wald, die Mordlust an den Tieren, die Gier nach Geld. Sie führen uns ein Leben mit Alkohol und Drogen vor, die Lebensweise von Banditen. … die Krankheit der Weißen ist, dass sie die Erde erst zerstören und dann verscherbeln.

 

Madarejúwa ist sich bewusst, dass von der Regierung und der Indianerschutzbehörde nur begrenzte Hilfe im Kampf gegen die oftmals illegale Abholzung des Regenwaldes zu erwarten ist. Er glaubt an die Stärke seines Volkes und ist bereit, für den Erhalt seiner Heimat zu kämpfen. – Wie lange wird es den Tenharim noch gelingen, ihr Territorium und ihre Lebensweise zu bewahren in einer Zeit, in der wirtschaftliche Interessen vor dem Schutz der Umwelt stehen?

Thomas Fischermann ist es zu verdanken, dass wir einen unmittelbaren Zugang zur Denk- und Lebensweise der Tenharim erhalten. Durch die Erzählperspektive ist man mittendrin im Geschehen und kann sich in den jungen Krieger Madarejúwa hineinversetzen. Vor allem der schonungslose Blick auf die Weißen ist sehr aufschlussreich! Wir nehmen teil an ihren Festen, erfahren von geheimen Orten und bedauern den Verlust ihrer schamanischen Tradition. Es ist nachvollbar, welch einen Wissensschatz Madarejúwas Volk über den Regenwald besitzt und wie kostbar – geradezu unersetzlich – ihr Lebensraum ist! Der letzte Herr des Waldes ist ein beeindruckendes und wichtiges Buch, das ich sehr gern gelesen habe!

Ähnlich begeistert war auch Andrea Daniel vom Blog BücherKaterTee.

Madarejúwa Tenharim/Thomas Fischermann: Der letzte Herr des Waldes
C. H. Beck Verlag 2018, 205 Seiten mit 27 farbige Abbildungen, 2 Karten
ISBN 978-3-406-72153-3 gebunden
ISBN 978-3-548-37800-8 Taschenbuch
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